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Das Versteck der Anakonda

Titel: Das Versteck der Anakonda
Autoren: Ralf Lilienthal
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einen Moment hatte Paul vergessen, dass das Camp der wichtigste Außenposten der Ecuadorianischen Serumstation
     war. Hier wurden beinahe die Hälfte aller Gegengifte des Landes hergestellt. Sein Vater, ein weltweit anerkannter Giftschlangenexperte,
     war für ein Jahr zum wissenschaftlichen Leiter des Camps ernannt worden.
    Als Juanito die Sicherheitstür zu den Schlangenterrarien entriegelt hatte und Paul an ihm vorbei in den dämmrigen Raum getreten
     war, kam ihm alles sehr vertraut vor. So ähnlich wie hier sah es auch am Arbeitsplatz seines Vaters im Senckenbergmuseumaus. In über siebzig Glasbecken waren einige der giftigsten Schlangen der Amazonasregion versammelt. Der Junge konnte den
     kantigen Kopf des Buschmeisters erkennen, einige ringelbunte Korallenottern und die Shishin Mango, eine kletternde, grüne
     Lanzenotter.
    Während Paul neugierig an den Terrarien vorbeischlenderte und dabei manchmal an die Scheiben klopfte, bewegte sich Juanito
     stocksteif durch die Mitte des langen Raumes auf den Ausgang gegenüber zu. Er wurde immer unruhiger und zog seinen Freund
     schließlich am Ärmel nach draußen.

    »Gehen wir in den Stall!«
    Der Pferdestall war das höchste Gebäude des Camps und lag dem Schlangenhaus genau gegenüber. Der Eingang war eine Doppeltür
     ,die wie eine Schleuse funktionierte. Dort drinnen war es noch einmal um einige Grad wärmer und auch schwüler als in den anderen
     Gebäuden. Paul zählte fünf schwere Tiere, die den unverwechselbaren Pferdegeruch ausdampften, der überall auf der Welt gleich
     roch.
    »Ay Santiago, ay Dolores.«
    Juanito war wie ausgewechselt. Hier fühlte er sich offensichtlich wohl, denn er stand zwischen zwei Pferden und strich ihnen
     kräftig über das Fell. Auch Pauls Augen leuchteten. Während er einem Schwarzbraunen die Hand unter die Nüstern hielt und freundlich
     mit ihm sprach, sah er sich in dem merkwürdigen Stall um.
    Trotz der Pferdeboxen und dem eingestreuten Stroh fühlte Paul sich an ein Krankenhaus erinnert. Glatter Estrichboden. Blitzblank
     geputzte Betonwände. Hell leuchtende, spinnwebfreie Lampen an der Decke. Und vor allem: Es war keine einzige Fliege oder Bremse
     zu sehen. Was an den straff gespannten Moskitonetzen vor den Fenstern lag und natürlich an der Schleuse, durch die sie den
     Raum betretenhatten. Der Stall musste so sauber sein, das wusste Paul. Schließlich wurde den Pferden Schlangengift in die Blutbahnen injiziert,
     um daraus Serum herzustellen. Ohne Krankheitserreger!
    Nach einer Weile wurde es den Jungen zu warm. Sie sahen einander an, nickten sich kurz zu und verschwanden dann wieder nach
     draußen.

    Ohne rechtes Ziel bummelten sie die wenigen staubigen Pfade des Camps entlang. Wieder breitete sich angenehmes Schweigen zwischen
     ihnen aus.
    Als sie sich dem Mangobaum im Zentrum des Camps näherten, hatte Paul auf einmal das merkwürdige Gefühl, beobachtet zu werden.
     Er sah sich in alle Richtungen um, doch da war niemand.
    Der kühle Baumschatten zog die beiden Jungen an. Wenige Meter von der Sitzbank entfernt, die den mächtigen Stamm umgab, stieß
     Juanito Paul in die Seite: »Guck, wer da ist!«
    Paul zuckte zusammen, als er den regungslos dasitzenden Dschungelführer erkannte. Das Gesicht fast vollständig vom Schirm
     seiner fleckigen Kappe verdeckt, die mageren Beine ausgestreckt und übereinandergelegt, lag Wolf mehr, als dass er saß.
    ›Fehlt nur noch, dass er laut schnarcht‹, dachte Paul.
    Als die beiden Jungen nur noch wenige Meter von der Bank entfernt waren, kam Bewegung in den Mann. Er richtete sich mit katzenhaft
     geschmeidigen Bewegungen auf, schob die Kappe in den Nacken und öffnete die Augen. Der Anblick der Kinder schien ihn nicht
     sonderlich zu überraschen. Er sah durch sie hindurch, als wären sie Luft.
    Gerade als Juanito und Paul an ihm vorbei zur anderen Seite des Stamms gingen, machte Wolfs rechte Hand eine schnelle Bewegung
     an den Gürtel. Im nächsten Moment blitzte ein gewaltiges Buschmesser in seiner Hand auf. Während er den Griff lässig zwischen
     Daumen und Zeigefinger drehte, grinste er die erschrockenen Jungen an. Dann schob er die Kappe zurück in die Stirn, fläzte
     sich erneut auf die Bank und begann, mit der Messerspitze die tiefschwarzen Fingernägel zu säubern.
    Die Jungen sahen einander befremdet an und wollten sich gerade setzen, als jemand laut und deutlich ihre Namen rief: »Hey,
     Paul, Juanito!«
    Es war Joe. Er stürmte auf sie zu und wäre dabei fast
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