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Das Versteck der Anakonda

Titel: Das Versteck der Anakonda
Autoren: Ralf Lilienthal
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einander in den
     Armen liegen!

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    Vertrautes Topfgeklapper
    »Guck!« Juanito zeigte auf einen riesigen Baum, der beinahe vollständig von einer Würgefeige überwuchert wurde. »Dahinter
     macht der Fluss eine Schleife. Von dort kannst du das Camp sehen!«
    Paul richtete sich kerzengrade auf. Obwohl er so müde war wie noch nie in seinem Leben, sehnte er sich nach seinem Vater.
     Und nach einem kühlen Getränk. Und nach einem Bett. In genau der Reihenfolge!
    Als sie nur noch etwa fünfzig Meter von einem flachen Uferfelsen entfernt waren, sagte Estéban plötzlich: »Wouf und Kinder-Mann
     da!«
    Das Boot der beiden ungleichen Anakondajäger lag neben einem altersschwachen Rieseneinbaum an einen Eisenring des Felsens
     vertäut. Gerade als Paul sich aufgerichtet hatte, um besser sehen zu können, stieß Estéban einen so lauten Vogelschrei aus,
     dass der Junge vor Schreck fast das Gleichgewicht verloren hätte. In einer hohen Baumgruppe erhoben sich einige Papageien
     kreischend in die Luft. In derFerne erklang ein unheimliches Brüllen. Und dann tobte auf einmal der Wald. Direkt neben ihnen, im Dickicht aus Lianen, Sträuchern
     und mannshohen Farnen tauchten die Köpfe von drei kleineren Kindern auf, die wild durcheinanderkrakeelten.

    Die Zahnlücke zwischen Estébans Schneidezähnen wurde in voller Länge sichtbar. Paul hatte ihn noch nie so gut gelaunt erlebt.
    Auch Juanito lachte herzlich, als er Paul erklärte: »Das sind meine Brüder Manuel und Ramon und Consuela, meine Schwester!
     Ich sollte ihnen etwas aus Puerto Misahuallì mitbringen.«
    Er öffnete einen ledernen Beutel, der vor ihm im Boot gelegen hatte, und rief einige für Paul unverständliche Worte. Jetzt
     sprangen die drei Kleinen hinter den Büschen hervor, während sich ihre Stimmen vor Begeisterung überschlugen. Juanito warf
     ihnen ein flaches Päckchen ans Ufer.
    Aus dem zusammengefalteten Blatt einer Bananenstaude tauchten zwei glitzernde, bunte Haarspangen für das Mädchen auf und für
     die Jungen zwei neonfarbene Plastikscheiben, die Paul erstaunt als Jojos identifizierte.
    Im Pflanzengewirr hin und her flitzend, begleiteten die Kinder das Boot auf den letzten Metern bis zum Anlegesteg. Estéban
     und Juanito waren kaum ausgestiegen, als sie schon von den drei Kleinen mit großem Getöse weggezogen wurden. Ehe Paul sich
     versah, war die Familie hinter einer Strauchgruppe verschwunden.
    Als der Lärm verebbte, sah sich Paul um. Bis auf einen abgemagerten Hund, der sich ihm vorsichtig näherte, war weit und breit
     kein lebendes Wesen zu sehen. Pauls Magen verkrampfte sich, während er vergeblich mit den Tränen kämpfte.
    »Ay Pablo, mein Kleiner, dann bin ich also doch zu spät!«
    Paul traute seinen Ohren nicht. Hatte er soeben die Stimme seiner Großmutter gehört? Oma Esmeralda im Amazonasdschungel? Wahrscheinlich
     hatte er vor lauter Müdigkeit schon Halluzinationen. Die Stimme kam aus der Richtung der Häuser und wurde begleitet vom Rascheln
     einiger Zweige und einem pfeifenden Schnaufen.
    Und dann stand sie wirklich vor ihm. Eine kleine, aber sehr breite und mollige Person, mit tiefschwarzen, zu einem dicken
     Zopf geflochtenen Haaren und milchkaffeebrauner, wettergegerbter Haut. Im nächsten Moment wurde es dunkel um den Jungen. Oma
     Esmeralda war wie eine Naturkraft über ihn gekommen. Abwechselnd drückte sie ihn an sich, küsste ihn, rieb seine Wangen zwischen
     ihren kleinen, kräftigen Händen. Nur um ihn dann wieder von sich wegzuschieben und von oben bis unten anzugucken.
    »In einem Jahr schon wieder so viel gewachsen! Wenn das so weitergeht, holst du irgendwann deinen Vater ein.«
    Paul war von der Aussicht, eines Tages zwei Meter und sieben Zentimeter groß zu sein, nicht gerade begeistert. ›Aber wenn,
     dann werde ich Basketballspieler in der NBA‹, dachte er. Er stellte sich den klapperdürren ›Doctor Ceñoto‹ vor, der jetzt
     vermutlich irgendwo auf Schlangenjagd war, und musste lächeln.
    »Was stehen wir hier noch herum? Du hast doch bestimmt Hunger nach der langen Reise!«
    Das war keine Frage, sondern der Befehl, sich in Marsch zu setzen.
    Esmeralda Maria Dolores Sanchez ließ es nicht zu, dass ihr Enkel die schwere Tasche trug. Seite an Seite näherten sie sich
     dem Camp, das wie ausgestorben in der jetzt schnell hereinbrechenden Dunkelheit lag.
    Camp Napo bestand aus einer Reihe flacher, lang gestreckter Betongebäude, die mit Wellblechdächern gedeckt waren. Vor einem
     der
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