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Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Titel: Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman
Autoren: Tamar Yellin
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Vater im Hafen von Jaffa an Bord des Schiffs »Methusaleh« und fuhr nach Southampton. Er trug ein weißes Hemd und keine Krawatte. Er war
von einer großen spirituellen Sehnsucht erfüllt. Unten am Kai stand die Frau, die er liebte, und winkte.
    Monatelang hatte er geschwankt, ob er abreisen sollte. Wochenlang hatte er hin und her überlegt. Jetzt war der unvermeidliche Augenblick da: der Abschied, von dem er gedacht hatte, er würde nie kommen.
    Und wenn darin ein Widerspruch lag, dass der Abschied, den er für unvermeidlich hielt, ihm gleichzeitig nie real erschienen war, dann spiegelte dies nur sein Leben insgesamt wider, das unbekümmert einfach weiterging und ihm nie wirklich real vorkam.
    Doch an diesem Morgen, als sie in dem weißen Zimmer in der Gordon-Straße gemeinsam aufgewacht waren, waren die Lichtstreifen auf dem Boden, der kleine Koffer, ihr Atem neben ihm fraglos real gewesen.
    Sie hatten bis spät in die Nacht hinein geredet, obwohl es nun zu spät war, und sich schließlich erschöpft nebeneinandergelegt. Sie küsste ihn auf die Wange. Sie streichelte seine blonden Augenbrauen. Und als sie mit dem Finger über die Delle in seinem Kopf fuhr, die seinen Tod barg, sagte sie mit einer Stimme, die gleichzeitig müde und liebevoll war:
    »Letztlich lässt man sich nicht von dem leiten, was man will, sondern von dem, was man glaubt, wollen zu müssen.«
    Er hatte keine Ahnung, wie man den Unterschied herausbekam. Das ernste Gesicht seines Vaters stand ihm immer vor Augen. Er lag wach neben ihr, als sie schlief, die ganze Nacht, als hätte sie ein reines Gewissen.
    Jetzt war es Morgen, und sie war immer noch da, zu wirklich, um daran zu zweifeln, zu real, um es zu glauben. Er vergrub das Gesicht in ihrem Haar und atmete seinen Duft ein. Auch dieser Moment verging schnell.
    In allen folgenden Jahren kehrte er zu diesem Augenblick
zurück, beschwor er diesen Duft herauf wie ein Wort, das ihm auf der Zunge lag. Sie war der Buchstabe, der in der Schriftrolle seines Lebens verändert worden war: Die Gesamtsumme verschob sich, sie erzählte eine andere Geschichte.
    Jetzt sitze ich hier auf dem Flughafen, bereit, nach Hause zu fliegen. Ich trage Jeans und ein graues Sweatshirt. Ich habe ein Päckchen Butterbrote in meiner Handtasche. In meinem Gepäck habe ich Folgendes verstaut: einen Stapel Briefe, ein handgeschriebenes Tagebuch, ein Paar Shabbat-Kerzenständer. Meine Tante Miriam wünscht mir eine gute Reise.
    Sie sieht strahlend und tadellos aus in ihrer grünen, geblümten Hose und mit einem mädchenhaften Band im Haar. Aber sie wirkt auch klein in der Weite des Flughafens: schwach und zart, verletzlich und zerbrechlich. Plötzlich kommen mir die Fragen in den Sinn, die ich ihr hatte stellen wollen. Wer weiß, ob ich sie je stellen werde?
    »Bleib nicht wieder so lange weg«, sagt sie, als wir uns in den Arm nehmen. »Ich hoffe doch, dass ich dich noch mal sehe.«
    Dann ist sie weg. Und ich bin so allein, wie man nur sein kann im Gewühl der Reisenden, die in so viele verschiedene Richtungen fliegen: Athen und London, Budapest und Rom. Ich stelle mich auf die Einsamkeit des Reisenden ein, auf die Anstrengung des Flugs; bereits gelangweilt von der Entfernung, die ich zurücklegen, den langen Wartezeiten, die ich überbrücken muss.
    Ich füge mich in mein Schicksal, setze mich auf einen harten Stuhl und tue, was schon Generationen in vergleichbaren Situationen getan haben: Ich schlage ein Buch auf. Es ist dicht und traumartig, es weckt Erinnerungen an das Meer und den englischen Nebel. Etwas, das so weit von dieser
Wirklichkeit hier entfernt ist, dass ich hineintauchen und mich selbst vergessen kann, das mich für kurze Zeit meine grelle und laute Umgebung vergessen lässt. Auf einem Flughafen zu sitzen und eine Beschreibung der Küste zu lesen scheint im Moment meinen Platz im Leben zu beschreiben.
    Ich habe kaum drei Sätze gelesen, da werde ich gewahr, dass jemand bei mir ist, auf dem Stuhl neben mir, er starrt mit unverhohlener Neugier in mein Buch. Gideon natürlich, mit einem Rucksack über der Schulter, er sieht frisch und reisefertig und abflugbereit aus. Ich bin völlig erstaunt und insgeheim verwirrt darüber, dass ich mich so freue, ihn zu sehen, dass sein bloßer Anblick mich so erleichtert.
    »Tja«, sagt er, »dann bist du also wieder auf dem Weg nach Hause.«
    »Tja«, sage ich, »du wohl auch.«
    »Ja, bin ich.«
    »Wohin geht’s denn?«
    Gideon kichert. »Nach Osten.«
    »Baku?«
    Er schaut
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