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Das Vermächtnis des Martí Barbany

Das Vermächtnis des Martí Barbany

Titel: Das Vermächtnis des Martí Barbany
Autoren: Chufo Lloréns
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Mutter, die eine Pubilla war, und schenkte alle Familiengüter dem Kloster Cluny, das dieses Gebiet beaufsichtigte. Emma hätte es gern gesehen, dass sich Martí um ein Kirchenamt bemühte, doch er fühlte sich nicht zum Altardienst berufen. In seinen Erinnerungen tauchte stets die heiß geliebte Gestalt des Vaters seines Vaters auf, zu dem er seit seiner Kindheit achtungsvoll aufblickte. Der Alte hinkte auffällig mit dem linken Bein, und nie erzählte er, wie er sich dieses Gebrechen zugezogen hatte. Wenn sich Martí schon als ganz kleiner Junge beklagte, dass sein Vater nie zu Hause war und zeitlebens Krieg führte, entschuldigte ihn der Greis jedes Mal mit dem Argument, dass viele Männer die ihnen auferlegten Aufgaben erfüllen müssten, denn dazu seien sie von den Umständen des Lebens gezwungen. Mit diesen und vielen anderen Erklärungen war es zu Ende, als der
Schlagfluss den Alten zu einem sabbernden Klotz machte, der nur noch neben dem großen Kamin des Hauses hockte. Als sie eines Abends vom Feld zurückkamen, entdeckten sie, dass er friedlich eingeschlummert war. Am nächsten Tag luden sie ihn auf ein Fuhrwerk mit wuchtigen Rädern und brachten ihn zu dem Friedhof, der an die Sagrera der Kirche von Castelló grenzte. Dort begruben sie ihn nach dem wohlbekannten Responsorium. Ihre Nachbarn und Freunde begleiteten sie bei diesem letzten, tieftraurigen Gang und zeigten warmherzige Anteilnahme. Seine Mutter leitete die Zeremonie. Martí erinnerte sich, dass dies für ihn als Siebenjährigen der erste große Kummer seines Lebens gewesen war. Damals begriff er, dass sich seine Welt nicht darauf beschränken dürfe, die Märkte und Kirchweihen der Gegend zu besuchen, um die Bodenfrüchte zu verkaufen, die seine Familie anbaute. Er wollte sich nicht von früh bis spät plagen, wie es sein Großvater getan hatte, um schließlich unter einem Erdhaufen zu landen, während ein Geistlicher sein eintöniges Miserere anstimmte.
    Seine Kinderjahre gingen vorbei, und in seinem Innern wuchs das Verlangen nach neuen Kenntnissen. Seine Mutter, deren Haar sich allmählich mit Silbersträhnen durchzog, bestand darauf, dass er zweimal in der Woche auf den Rücken Muleys stieg – eines alten, keuchenden Esels, den man von allen anderen Arbeiten befreit hatte – und zum Pfarrhaus des Dorfes ritt. Denn sie hoffte, dass ihn diese Besuche inniger mit der Kirche verbanden: Der Pfarrer Don Sever, der die Domherrenstelle von Vilabertrán innehatte, war damit einverstanden, ihm die vier Grundrechenarten und die Hauptregeln der Grammatik beizubringen, wofür er ein paar Bodenfrüchte und manchmal ein Huhn oder Kaninchen als armseligen Lohn erhielt. Hierfür musste Martí den Katechismus und die von gelehrten Autoren kommentierten Heiligenleben über sich ergehen lassen, die ihm der gute Mann zu lesen gab, um seine Berufung zu wecken. Martí nahm diese Aufgabe bereitwillig auf sich, weil er befürchtete, dass man ihm sonst die Besuche untersagte, die ihn doch so sehr interessierten.
    »Martí«, sagte der Pfarrer, »wenn du dich fleißig bemühst, kannst du ein Mann der Kirche werden. Du musst bedenken, dass ein Abt oder Bischof ebenso viel wie ein Graf oder Markgraf gilt oder noch mehr, und du bist sehr klug …«
    Außer den Pflichtaufgaben, die der Geistliche übernommen hatte, kümmerte er sich freiwillig darum, Martís Erziehung zu verfeinern. Er
aß mit ihm im Pfarrhaus und lehrte ihn die Höflichkeits-, Umgangsund Anstandsregeln sowie die Art, wie man sich bei Tisch zu benehmen hatte, so vornehm es dort auch zuging. Nun war Schluss mit den herrlichen Ausflügen, die er auf dem Esel zum Golf von Rosas unternommen hatte, und mit den aufregenden Streifzügen an den nahen Buchten, in denen er mit seinen Freunden Felet und Jofre schwamm, unter Wasser liegende Höhlen erkundete, von Abenteuern phantasierte und sich vor allem im Rohrdickicht an der Küste versteckte, um heimlich zu beobachten, wie sich ein paar Mädchen die Mieder und Hemden auszogen, um lachend und lärmend in Ufernähe herumzuplanschen.
    Vor dem Tod seines Großvaters, als Martí vier Jahre alt wurde, hatte man ihm erzählt, der liebe Gott habe seinen Vater zu sich genommen, als er in der Nähe von Vic bei einem Vorstoß in dem Krieg mitkämpfte, den der Gefolgsherr seines Vaters mit dem »Fürsten« von Olèrdola führte. Es hieß, ein Wurfspieß habe die Panzerhaube durchbohrt, sei zwischen seinen Schulterblättern eingedrungen und habe ihn niedergestreckt. Er
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