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Das Vermächtnis des Martí Barbany

Das Vermächtnis des Martí Barbany

Titel: Das Vermächtnis des Martí Barbany
Autoren: Chufo Lloréns
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nicht damit abfinden, zeitlebens ein Bauer zu sein. Sein Ehrgeiz war groß, und sein Gesichtskreis würde sehr eng bleiben, wenn er sich nicht entfernte. Vor seinem Aufbruch sollte indes noch vieles geschehen, denn der Mensch denkt, und das Schicksal lenkt. Mit sechzehn Jahren entdeckte er die Liebe, oder wenigstens dachte er es damals. Auf einem der Jahrmärkte, die er damals besuchte, lernte er Basilia kennen, eine junge Pubilla in seinem Alter, die zu einer reichen Bauernfamilie gehörte. In einer Strohscheune konnte er die Wonne genießen, eine Brust des Mädchens in der Hand zu halten. Er glaubte, dies sei das höchste Glück der Erde, und obwohl ihn seine Freunde auslachten, kümmerte er sich nicht darum und wollte die Erlaubnis seiner Mutter erbitten, ihr den Hof zu machen. Emma nahm es ernst und zog Erkundigungen ein. Kurze Zeit später bereitete sie ihm den größten Kummer seines jungen Lebens: Das Mädchen war mit einem reichen Hereu verlobt, und der Vater würde nicht einmal im Traum daran denken, dass ein Habenichts wie er seine Pläne durcheinanderbrachte.
    Die Tage folgten aufeinander und wurden zu Monaten und Jahren. Schließlich tilgten sie in seinem Geist die Spuren dieser gescheiterten Liebe. Als er achtzehn geworden war, gab ihm seine Mutter den Ring und ein kleines Pergament, das kurz zuvor im Haus abgegeben worden war, ohne dass er es erfahren hatte. Darauf standen ein Name und eine Adresse in Barcelona.
    »Sohn, vor einem Monat hat jemand dieses Schreiben gebracht. Ich sollte es dir geben, sobald du großjährig bist. Darin wirst du Anweisungen lesen, die du befolgen musst, wenn du in die Stadt kommst. Das ist so etwas wie ein Geleitbrief. Er öffnet dir die Tür zu dem Menschen, der den Brief geschickt hat. Jetzt bist du schon ein Mann, und wenn mich auch ein eigennütziges Gefühl treibt, dich zu bitten, dass du bei mir bleibst, sagt mir meine Mutterliebe, dass ich dich unterstützen muss, wenn du aufbrichst, damit ich nicht zu einem Hindernis auf deinem
Schicksalsweg werde. Ich will dich nicht festhalten: Geh fort und sieh nicht zurück. Hier hast du nichts mehr zu tun.«
    »Mutter, ich habe lange gewartet, und alles lässt sich noch ein paar Monate hinausschieben: Bald kommt die Ernte, und ich gehe nicht fort und lasse Euch allein mit dieser Arbeit. Wenn ich zurückkomme, denn ich schwöre Euch, Mutter, dass ich zurückkomme, werden alle sehen, dass ich Eurer Mühen würdig bin. Wenn ich nicht wiederkomme, so deshalb, weil ich bei meinen Unternehmungen gestorben bin.«
    An seinem Abreisetag umarmte er die leiderprobte Frau, die sich trotz ihrer Tränen so standhaft wie immer verhielt. Er suchte das Abenteuer. Er trieb sein Pferd an, und im eintönigen Rhythmus der Hufe entfernte er sich von alledem, was bisher seine Welt gebildet hatte. Er war achtzehn Jahre und drei Monate alt. Ein letztes Mal drehte er sich um und merkte, wie die Gestalten seiner Mutter, der Wirtschafterin Tomasa und Mateus in der Entfernung kleiner wurden und gleichzeitig einen immer größeren Raum in seinem Herzen einnahmen.
     
    Die Schlange rückte allmählich weiter vor, und als der Morgen schon angebrochen war, kam er an die Reihe. Einer der Soldaten, die das Tor kontrollierten, fragte ihn, wer er sei und was er tun wolle. Martí Barbany holte das Dokument aus der Tasche, das für einen der Chorherren der Kathedrale bestimmt war. Nachdem sich der Mann mit dem Führer der Torwache beraten und nachgesehen hatte, wer der Adressat des Schreibens war, gab er ihm den Weg frei. Martí spornte sein Pferd an, folgte der hereinströmenden Menge, drang in die große Stadt ein und ritt eine belebte Straße hinauf. Nachdem er den Platz überquert hatte, vor dem das Grafenschloss stand, dessen großartige Pracht er bestaunte, kam er zum Spital der Kathedrale, der Pia Almoina. Dort befand sich der Amtssitz des Erzdiakons Llobet. Ihm musste er das Dokument vorlegen, das jemand seiner Mutter übergeben hatte. Am Eingang stieg er vom Pferd und band es an eine hierfür vorgesehene Holzstange. Einem Jungen, der sich anbot, das Tier zu bewachen, gab er eine Münze. Dann trat er durch das Portal und ging zu einem Tisch, an dem ein junger Geistlicher die Besucher empfing, die ins Haus kamen, um Angelegenheiten mit den dort residierenden Domherren und hohen Würdenträgern zu besprechen. Der Ordensbruder wollte sich gerade um ihn kümmern, als die Glocken der Pia Almoina erklangen und das Angelusgebet ankündigten, und die Glocken der
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