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Das Vermächtnis der Eszter

Das Vermächtnis der Eszter

Titel: Das Vermächtnis der Eszter
Autoren: Sándor Márai
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Jedenfalls wohnten sie zusammen, hatten Geld – Lajos war in jenen Jahren fast reich, und wenn Laci die goldene Uhr und die erbetenen Hunderter erwähnt, so kann es nur aus kindischer Empfindlichkeit sein, denn in den rauschenden Zeiten zahlte Lajos für alle, so natürlich auch für seinen Kameraden. Sie hatten sich aus der glücklichen goldenen Müßiggänger-Gesellschaft der Jahrhundertwende ein paar willige Mitläufer ausgewählt, und soweit ich das später beurteilen konnte, lebten sie in Glanz und Gloria. Es ist zwar nicht so, daß sie über alle Stränge schlugen. Lajos zum Beispiel trank nicht, und Laci war kein Nachtschwärmer. Sie lebten vielmehr in einem kostspieligen, komplizierten und anspruchsvollen Müßiggang, der von außen gesehen täuschende Ähnlichkeit mit einem ernsthaften, zielgerichteten Tun hatte, mit einer exklusiven Lebensform oder eben mit einem neuen »Lebensstil« – damals ein Lieblingswort von Lajos –, zu dessen Verwirklichung sich zwei außergewöhnlich begabte junge Leute zusammengetan hatten. In Wirklichkeit schwindelten sie nach allen Seiten und wiegten sich in Träumen. Das habe ich jedoch erst viel später erfahren.
    Mit Lajos, dem neuen Freund, hielt eine romantische Unruhe Einzug in unserem Haus. Er betrachtete unsere ländlichen Vergnügungen und Vorlieben mit leicht kopfschüttelnder Nachsicht. Wir spürten seine Überheblichkeit und versuchten, ein bißchen beleidigt, unsere Versäumnisse gutzumachen. Mit einem Mal begannen wir zu »lesen«, und zwar vor allem Autoren, auf deren Bedeutung Lajos uns aufmerksam gemacht hatte – zu »lesen«, so eifrig, so beschämt, als bereiteten wir uns auf das Examen unseres Lebens vor. Erst später wurde uns klar, daß Lajos die Werke dieser Denker und Schriftsteller, auf die er uns so nachdrücklich und streng aufmerksam gemacht hatte, nicht oder nur ganz oberflächlich kannte. Aber sein Charme wirkte eben rasch, wie ein Jahrmarktszauber. Unsere arme Mutter erlag als erste dem Wahn. Wir »lasen« unentwegt, unter Lajos’ Einfluß und zu seiner Ehre, dann begannen wir, uns »anzuziehen«, ganz anders als zuvor, dann »führten wir ein Haus«, ebenfalls irgendwie anders als bis dahin, und auch die Zimmer richteten wir neu ein. Das alles kostete viel Geld, und wir waren nicht reich. Unsere Mutter lebte in der Erwartung von Lajos und bereitete sich auf seine Besuche wie auf eine Prüfung vor: Sie büffelte die modernen deutschen Denker, denn Lajos hatte einmal herablassend gefragt, ob wir die Werke eines gewissen B. aus Heidelberg kannten. Natürlich kannten wir sie nicht. Wir beeilten uns, die hochfliegenden, ein bißchen nebulösen Erörterungen über Leben und Tod zur Kenntnis zu nehmen. Auch unser Vater riß sich zusammen. Er trank weniger, gab besonders acht auf sich, wenn Gäste da waren, und versteckte sich mit seinem geflickten, traurigen Leben vor Lajos’ durchdringendem Blick. Mein Bruder und Lajos kamen jedes Wochenende zu Besuch.
    Bei solchen Gelegenheiten füllte sich das Haus mit lautem Volk. Unser altes Wohnzimmer verwandelte sich in einen »Salon«, wo Lajos die interessanteren Stadtbewohner empfing, Leute, die uns bis dahin eher verdächtig als interessant erschienen waren und die wir in unserem Haus nicht empfangen hatten. Jetzt hatten sie freien Zutritt. Mein Vater schlurfte ziellos zwischen den Gästen umher, in seinem abgewetzten Jackett, mit seiner altmodischen Freundlichkeit, und wagte nicht einmal, eine Pfeife anzuzünden … Und Lajos hielt hof, horchte aus, vernichtete mit einem Blick oder stimmte zu, hob den einen in den Himmel, stürzte den andern in die Hölle. Drei Jahre ging das so.
    Die beiden, mein Bruder und sein seltsamer Freund, waren nicht einfach zwei lebenslustige Gesellen. Am Ende des ersten Jahres fiel auch Außenstehenden auf, daß Laci von Lajos auf eine ähnliche Art abhängig war wie meine Mutter, wie Vilma und später auch ich. Jetzt könnte ich erwähnen, daß ich dem unguten Zauber am längsten und nüchternsten widerstand, aber warum sollte ich mich mit diesem armseligen Triumph schmücken? Ja, vom ersten Augenblick an »durchschaute« ich Lajos: Und doch beeilte ich mich geradezu gierig, ihm zu Diensten zu sein. Er war so ernst und zärtlich. Die Universitätsstudien hatten er und Laci, wie wir bald erfahren mußten, aufgegeben; er sagte – ich erinnere mich noch genau, er stand in der Dämmerung an einem Fenster, die Locke in der Stirn, und seine Worte klangen so resigniert, als
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