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Das Vermächtnis der Eszter

Das Vermächtnis der Eszter

Titel: Das Vermächtnis der Eszter
Autoren: Sándor Márai
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gebeten. Die habe ich ihm aber nicht gegeben«, sagte die Stimme mit kindlicher Befriedigung.
    Und die andere, die tiefere, ruhigere Stimme, sagte gleichmütig und bescheiden: »Es wäre kein großes Unglück gewesen, wenn du sie ihm gegeben hättest.«
    »Meinst du?« fragte Laci beschämt. Ich stand zwischen den Blumenbeeten, und es war mir, als sähe ich sein errötendes, verlegen lächelndes ältliches Kindergesicht. »Glaubst du, er liebt Eszter noch?«
    Die Antwort ließ lange auf sich warten. Jetzt wäre ich gern dazwischengetreten, aber es war zu spät. Und in dieser lächerlichen Situation, allein, gealtert, zwischen den Blumen meines Gartens – wie in einem altmodischen Gedicht, an dem Morgen, da ich den Besuch des Mannes erwartete, der mich betrogen und ausgeraubt hatte, in dem Haus, wo das alles vorgefallen war, wo ich mein ganzes Leben zugebracht hatte, wo ich in einem Schrank die Briefe von Vilma und Lajos aufbewahrte, so wie auch den Ring, von dem ich seit der vorangegangenen Nacht sicher wußte, was ich schon immer geahnt hatte: daß er gefälscht war –, in einer solchen theatralischen Situation mußte ich gewahr werden, daß die Antwort auf die einzige Frage, die mich noch interessierte, auf sich warten ließ.
    Tibor, der gewissenhafte Richter, wog seine Worte. »Ich weiß es nicht«, sagte er dann. »Ich weiß es nicht«, wiederholte er leise, als diskutiere er mit jemandem. »Hoffnungslose Liebe vergeht nie«, sagte er schließlich.
    Sie sprachen leiser und gingen ins Haus. Ich hörte noch, daß sie mich suchten, legte die Blumen auf die Steinbank, ging zum Ende des Gartens, zum Brunnen, und setzte mich auf die Bank, wo zweiundzwanzig Jahre zuvor Lajos um meine Hand angehalten hatte; ich zog das gehäkelte Tuch über der Brust zusammen, denn es war mir kalt, ich blickte auf die Landstraße hinaus, und mit einem Mal verstand ich Lacis Frage nicht mehr.

6

    Als Lajos vor vielen Jahren bei uns erschien, war Laci der erste, der ihn mit inniger Sympathie aufnahm. Beide waren damals in der Familie als »große Versprechen« verbucht. Niemand konnte genau sagen, was Laci und Lajos »versprachen« – wenn man sie allerdings hörte, versprachen sie tatsächlich viel. Die Ähnlichkeit ihrer Charaktere, der völlige Mangel an Wirklichkeitssinn, die Vorliebe für Luftschlösser, der unkontrollierte Zwang zum Schwindeln, das alles trieb sie einander in die Arme wie zwei Liebende. Laci führte Lajos stolz in unserer Familie ein. Sogar äußerlich glichen sie einander: in beiden Gesichtern jenes romantische lockige Etwas aus dem letzten Jahrhundert, wie ich es bei Laci immer gemocht hatte und bei Lajos gern wiederfand. Eine Zeitlang kleideten sie sich gleich, und die Stadt hallte wider von ihren großspurigen Abenteuern. Aber man verzieh ihnen, denn sie waren jung und liebenswürdig, und alles in allem taten sie nie etwas wirklich Schlechtes. Es war unheimlich, wie sie sich glichen, körperlich und seelisch.
    Diese Freundschaft, die sich schon zu ihrer Studentenzeit mit beunruhigender Heftigkeit gezeigt hatte, endete auch dann nicht, als sich Lajos für mich zu interessieren begann. Sie endete nicht, veränderte sich jedoch auf merkwürdige Art. Ein Blinder konnte sehen, daß Laci lächerlich eifersüchtig war; er tat alles, um den Freund an die Familie zu binden, gleichzeitig sah er es ungern, daß Lajos mir den Hof machte, er störte nach Kräften unser zögerndes Beisammensein und machte sich lustig über die zaghaften Zeichen der beginnenden Anziehung. Laci war eifersüchtig, aber erstaunlicherweise, oder vielleicht gar nicht so erstaunlicherweise, wandte sich seine Eifersucht nur gegen mich. Als Lajos dann Vilma heiratete, schien er sich zu freuen und benahm sich so taktvoll und hilfsbereit wie nur möglich. Und das, obwohl alle in der Familie wußten, daß ich Lacis Liebling, Lacis »Schwäche« war. Später dachte ich sogar, daß Laci mit seiner Anhänglichkeit und Eifersucht Lajos zur Untreue angespornt hat. Doch das könnte ich in keiner Weise belegen.
    Diese beiden einander ähnlichen Menschen, diese beiden fast gleichen Charaktere wurden die besten Freunde. Eine Zeitlang, nachdem Lajos sein Erbe erhalten hatte, wohnten sie auch zusammen, in der Hauptstadt, in einer tollen Junggesellenwohnung, die ich nie gesehen habe, die aber, so Laci, Schauplatz von geistig und gesellschaftlich hochbedeutenden Zusammenkünften war. Ich habe allen Grund, an der Bedeutung dieses Gesellschaftslebens zu zweifeln.
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