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Das Vermächtnis der Eszter

Das Vermächtnis der Eszter

Titel: Das Vermächtnis der Eszter
Autoren: Sándor Márai
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hätte er sich zu einem großen Opfer entschlossen: »Ich muß die stille, fruchtbare Einsamkeit des Arbeitszimmers mit dem Lärm und den Gefahren der zwischenmenschlichen Kampfstätte vertauschen.« Immer redete er, als zitiere er aus einem Buch. Der Satz erschütterte mich, wühlte mich auf. Ich hatte das Gefühl, Lajos verlasse die ihm vorgezeichnete Bahn zugunsten eines etwas nebelhaften Ziels und kämpfe nunmehr für etwas oder jemanden – für die ganze Menschheit wahrscheinlich – statt mit den Waffen des Wissens mit denen des praktischen Lebens. Das Opfer beunruhigte mich, denn in unserer Familie sah man es lieber, wenn die jungen Männer ihre Ausbildung abschlossen, bevor sie die »zwischenmenschliche Kampfstätte« betraten. Aber ich glaubte Lajos, daß er einen anderen Weg gehen, andere Mittel anwenden mußte. Selbstverständlich folgte ihm Laci auf dem Fuße. Im dritten Jahr unterbrachen sie ihr Studium. Ich war damals noch ein ganz junges Mädchen. Laci kehrte später in die »Welt des Geistes« zurück, eröffnete mit dem letzten Kredit der Familie in der Stadt eine Buchhandlung und schlug sich nach erstem begeistertem Pläneschmieden mit dem Verkauf von Schulbüchern und Schreibwaren durch. Lajos machte ihm wegen dieses Schritts heftige Vorwürfe. Dann aber kam die Politik auf die Tagesordnung, und er ließ nichts mehr von sich hören.
    Ich habe Lajos’ politische Einstellung nie wirklich gekannt. Tibor, den ich oft darüber ausfragte, zuckte immer mit den Schultern und sagte, Lajos habe keinerlei politische Überzeugung, er sei ein Schaumschläger und suche das Abenteuer dort, wo Menschen die Macht unter sich teilen. Das mochte stimmen, und stimmte doch nicht ganz. Mir schien, daß Lajos durchaus bereit war, für die Menschheit oder den Begriff der Menschheit Opfer zu bringen – er zog die Begriffe der Wirklichkeit vor, weil sie ungefährlicher und gefügiger sind –, und wenn er in der Politik das »Abenteuer suchte«, so war er auch bereit, seine Haut zu Markte zu tragen, und das nicht so sehr um einer Beute willen, sondern eher, weil ihn das Pathos des Abenteuers anzog und er es mit allen Fasern erfühlte und erlitt. Lajos war ein Mensch, der mit einer Lüge begann, darüber so in Fahrt kam, daß er in Tränen ausbrach und mit den Tränen in den Augen weiterlog, bis er am Ende zum allgemeinen Erstaunen schon die Wahrheit sagte, und das genauso fließend, wie er gelogen hatte … Was ihn in den vergangenen Jahrzehnten natürlich nicht gehindert hatte, als Vorkämpfer extremer und völlig gegensätzlicher politischer Parteien aufzutreten, Parteien, aus denen man ihn binnen kurzem auch wieder hinauskomplimentierte. Zum Glück folgte ihm Laci auf diesem Weg nicht. Er blieb in der »Welt des Geistes«, in der leicht muffigen Atmosphäre von Zeichenmaterial und eselsohrigen gebrauchten Schulbüchern. Lajos hingegen war zwischen den Gefahren verschollen. Zwar vermochte niemand, diese »Gefahren« genauer zu benennen, aber wir stellten ihn uns immer in einer sturmgepeitschten, von Katastrophen bedrohten Landschaft vor.
    Als Vilma starb und zwischen uns die Trennung vollzogen wurde, verschwand Lajos vom familiären Horizont. Damals kam ich hierher zurück, in diese ärmliche letzte Zuflucht. Hier warteten nur eine Liege und trockenes Brot auf mich. Doch wer aus dem Gewitter kommt, ist glücklich, ein Dach über seinem Kopf zu wissen.

7

    Dieses Dach – jedenfalls schien es zu Anfang so – war ziemlich verlottert. Nachdem Vater gestorben war, nahmen Tibor und Endre, die Freunde des Hauses, das Erbe gründlich unter die Lupe. Als Notar war Endre auch berufshalber zu dieser Prüfung gehalten. Unsere finanzielle Situation schien zunächst aussichtslos. Das Wenige, das nach den letzten Erschütterungen, nach Vaters trotzig nachlässigem Umgang mit dem Geld, nach Mutters Krankheit, nach Vilmas Heirat und Tod und nach der Gründung von Lacis Geschäft noch übrig war, hatte Lajos über feine Kanäle abgesaugt. Als kein Geld mehr vorhanden war, ließ er aus dem Haus Gegenstände mitgehen – »zur Erinnerung«, wie er sagte, und mit der Neugier und Sammlerleidenschaft eines Kindes. Später verteidigte ich ihn manchmal vor Endre und Tibor. »Er spielt nur«, sagte ich, wenn sie empört waren. »Er hat etwas Kindliches. Er spielt gern.« Aber da wurde Endre böse. Kinder spielen mit Schiffchen oder Glasmurmeln, sagte er aufgebracht, Lajos hingegen sei ein »ewiges Kind«, das am liebsten mit Wechseln spiele.
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