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Das Vermächtnis der Eszter

Das Vermächtnis der Eszter

Titel: Das Vermächtnis der Eszter
Autoren: Sándor Márai
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Er sagte es zwar nicht, aber es war zu spüren, daß er die Spielsachen von Lajos für nicht ganz sauber, nicht ganz unschuldig hielt. Und tatsächlich kamen nach Vaters Tod Wechsel zum Vorschein, die er angeblich für Lajos unterschrieben hatte, woran ich persönlich nie zweifelte. Dann ging auch das, wie alles andere, im allgemeinen Zusammenbruch unter.
    Als mir zu Bewußtsein kam, daß ich auf der Welt niemanden mehr hatte – außer Nunu, mit der ich in einem besonderen Bündnis lebte, wie die Misteln und der Baum, wobei wir nicht hätten sagen können, wer der Baum und wer der Parasit war –, versuchten Endre und Tibor, aus dem allgemeinen Untergang für mich noch etwas zu retten. Damals war es, daß Tibor mich heiraten wollte. Ich wehrte stotternd ab, konnte aber den wahren Grund meiner Absage nicht nennen. Ich durfte nicht sagen, daß ich insgeheim noch immer auf Lajos, auf ein Zeichen von ihm, vielleicht auf ein Wunder wartete. Um ihn herum war immer alles so wundersam: Ich konnte gar nicht ausschließen, daß er eines Tages auftauchte wie Lohengrin und eine erhabene Arie schmetterte. Aber nach unserer Trennung war er auf so mysteriöse Art verschwunden, als hätte er sich eine Tarnkappe übergestülpt. Jahrelang hörte ich gar nichts von ihm.
    Es blieben nur noch das Haus und der Garten. Das Haus war mit einer geringen Hypothek belastet. Ich hatte immer angenommen, ich sei eine zähe, widerstandskräftige, praktische Natur. Aber als ich allein blieb, mußte ich merken, daß ich bis dahin in den Wolken gelebt hatte – in gefährlichen, mit Blitzen gefüllten Wolken – und daß ich von der irdischen Wirklichkeit kaum etwas Zuverlässiges wußte. Nunu sagte, der Garten und das Haus genügten für uns. Noch heute verstehe ich nicht, wie sie »genügen« können. Gut, der Garten ist groß, voller Obstbäume, und Nunu hat die schmucken romantischen Blumenbeete, die mit roter Tonerde bestreuten gewundenen Wege und den schwärmerischen Wasserfall mit den bemoosten Steinen allesamt verbannt und jeden Quadratzentimeter ausgenutzt, so geschickt und eifrig, wie man in kargen Gebieten den Boden ehrt und jedes Fleckchen Erde mit Steinen umgibt, um sie vor Sturm und Eindringlingen zu schützen. Das ist uns geblieben, dieser Garten. Eine Zeitlang kamen Tibor und Endre immer wieder mit der Idee, wir sollten ein paar Zimmer vermieten und Kostgänger aufnehmen. Der Plan ist vor allem an Nunus Widerstand gescheitert. Sie hat nicht gesagt warum, nichts erklärt, bloß war an ihren Worten und noch mehr an ihrem Schweigen zu spüren, daß sie im Haus keine Fremden dulden würde. Nunu erledigt die Dinge anders, »löst« sie anders, als man es erwarten würde. Zwei einsame, unbeholfene Frauen können, so würde man meinen, eine Näherei oder eine Garküche eröffnen, sie können sich mit Handarbeiten beschäftigen – aber so etwas fiel Nunu gar nicht ein. Es brauchte seine Zeit, bis sie mir erlaubte, den Kindern von ein paar befreundeten Familien Klavierstunden zu geben.
    Wir lebten irgendwie … Jetzt weiß ich, daß uns das Haus und der Garten, das einzige, das mir von meinem armen, versponnenen Vater geblieben war, am Leben erhielten. Nur das gab es, nur deshalb vermochten wir zu leben. Das Haus bedeutete Schutz und gab uns mit seinen wenigen verbliebenen Möbeln ein Zugehörigkeitsgefühl. Der Garten ernährte uns, nicht besser und nicht schechter, als es die Schiffbrüchigen brauchten. Er schien sich um uns herum zu vergrößern, denn wir gaben ihm alles, Arbeit und Hoffnung, und manchmal kam er uns wie ein großes Gut vor, auf dem man sorglos leben kann. Nunu gab sich eines Tages einen Ruck und bepflanzte den sandigen hinteren Teil des Gartens, das ganze anderthalb Morgen große Grundstück, mit Mandelbäumen. Diese Bäume waren später wie die unsichtbaren Hände, die Manna vom Himmel werfen. Sie trugen jedes Jahr Früchte, die Nunu heimlich und feierlich zu Geld machte, und von diesem Geld lebten wir irgendwie; zuweilen konnten wir unsere Schulden verringern oder sogar Laci etwas zukommen lassen. Ich habe das lange nicht verstanden. Nunu aber lächelte und schwieg. Manchmal blieb ich vor unserem Mandelwald stehen und betrachtete ihn ehrfürchtig. Im Sand wie im Leben schien ein Wunder geschehen zu sein. Jemand paßt auf uns auf, das war mein Gefühl.
    Die Mandelbäume waren Vaters Idee gewesen, aber Vater war schon zu müde, um seine Ideen zu verwirklichen. Er hatte einmal, zehn Jahre zuvor, zu Nunu gesagt, daß der
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