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Das Vermächtnis der Eszter

Das Vermächtnis der Eszter

Titel: Das Vermächtnis der Eszter
Autoren: Sándor Márai
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Wertgegenstand der Familie. Als du mir die schöne Szene geschildert hast, ist mir gleich ein Verdacht gekommen. Deshalb habe ich ihn später prüfen lassen. Er ist gefälscht. – Gefälscht«, wiederholte sie düster und mechanisch.
    Ich fragte: »Warum sagst du das erst jetzt?«
    Nunu strich sich das graue Haar aus der Stirn. »Man braucht nicht alles gleich zu sagen«, sagte sie freundlich. »Lajos hat dir schon übel genug mitgespielt.«
    Ich stand auf, ging zum Schrank und suchte im Geheimfach nach dem Ring. Nunu half mir dabei, im flackernden Kerzenlicht. Dann hielt ich den Stein gegen die Flamme und betrachtete ihn gründlich. Ich verstehe nichts von Edelsteinen.
    »Ritze den Spiegel damit«, sagte Nunu.
    Der Stein hinterließ keine Spur auf dem Glas. Ich steckte den Ring an und betrachtete ihn. Der Stein schimmerte mit kaltem, leerem Glanz. Es war ein hervorragendes Imitat, von Meisterhand geschaffen.
    Eine Weile saßen wir noch auf dem Bettrand und starrten auf den Ring. Dann gab mir Nunu einen Kuß, seufzte und ging wortlos hinaus. Ich saß noch lange so und drehte den falschen Stein hin und her. Es fiel mir auf, daß Lajos noch nicht einmal angekommen war und mir schon etwas weggenommen hatte. Offenbar konnte er nicht anders. Das ist das Gesetz, sein Gesetz. Schreckliches Gesetz, dachte ich und begann zu frieren. So schlief ich ein, fröstelnd, mit dem Ring am Finger, so benommen, als hätte ich lange Zeit in einem Zimmer gelebt und als würde mir jetzt eine unbarmherzig starke Luftströmung, der Windstoß der Wirklichkeit, ins Gesicht wehen.

5

    Der Tag, an dem Lajos zu uns zurückkam, war ein Sonntag im September. Es war ein wunderbar warmer, glasklarer Tag; zwischen den Bäumen schwebten die Spinnenwebfäden des Altweibersommers, die Luft glänzte ohne die geringste Trübung und legte sich als reiner, leichtflüssiger, edler Belag auf die Dinge, als wäre alles in Sichtweite, Himmel und Horizont, mit Wasserfarbe übermalt. Früh am Morgen ging ich in den Garten und schnitt Dahlien für drei Vasen. Unser Garten ist nicht sehr groß, aber er umgibt das Haus völlig. Es muß noch vor acht Uhr gewesen sein. Ich stand in der großen Stille des vom Tau nassen Gartens und hörte, wie auf der Veranda gesprochen wurde. Es waren die Stimmen meines Bruders und Tibors. Sie unterhielten sich leise, aber in der Morgenstille erreichte mich jedes Wort wie durch einen unsichtbaren Lautsprecher.
    Im ersten Augenblick wollte ich dazwischenrufen, ein Zeichen geben, daß ich sie hörte, daß sie nicht allein waren. Aber schon der erste, gedämpft ausgesprochene Satz zwang mich, stumm zu bleiben.
    Laci, mein Bruder, fragte: »Warum hast du Eszter nicht geheiratet?«
    »Weil sie mich nicht heiraten wollte«, lautete die Antwort.
    Das war Tibors Stimme, und mir klopfte das Herz. Ja, so war Tibor, so ruhig und gütig, und aus seinen Worten sprach immer eine etwas traurige Wahrheit, die er geduldig und sachlich vortrug. Warum fragt Laci so etwas? dachte ich verletzt und aufgeregt. In den Fragen meines Bruders ist immer etwas Forderndes, etwas allzu Vertrauliches und auch Angriffslustiges. Laci erträgt keine Geheimnisse. Die Menschen aber wollen ihre Geheimnisse bewahren. Ein anderer hätte auf diese Frage ausweichend geantwortet oder sich die Vertraulichkeit verbeten. Tibor antwortete leise und so objektiv und ehrlich, als gäbe er Auskunft über einen Fahrplan.
    »Warum hat sie dich nicht heiraten wollen?« hörte ich die aggressive Stimme meines Bruders.
    »Weil sie einen anderen liebte.«
    »Wen?« kam die dumpfe, unerbittliche Frage.
    »Lajos.«
    Jetzt schwiegen sie. Man hörte das Geräusch von einem Streichholz, einer der beiden zündete sich eine Zigarette an. In der großen Stille hörte ich, wie das Streichholz ausgeblasen wurde.
    Die Frage, die ich erwartete, kam so pünktlich wie der Donner nach dem Blitz. Wieder sprach Laci: »Weißt du, daß er heute kommt?«
    »Ja.«
    »Was will er hier?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Hat er bei dir auch Schulden?«
    »Lassen wir das«, sagte eine mißmutige Stimme. »Das ist schon lange her. Es ist nicht mehr wichtig.«
    »Bei mir hat er nämlich welche«, sagte Laci angeberisch, mit kindischem Stolz. »Er wollte sogar Vaters goldene Uhr haben. Hat gesagt, ich soll sie ihm für eine Woche ausleihen. Zehn Jahre ist das her. Nein, warte, zwölf Jahre. Er hat sie noch immer nicht zurückgegeben. Einmal hat er alle Lexika mitgenommen. Ausgeliehen. Einmal hat er um dreihundert Kronen
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