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Das Vermächtnis der Eszter

Das Vermächtnis der Eszter

Titel: Das Vermächtnis der Eszter
Autoren: Sándor Márai
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verlangte, aber sie verlangte ihn wortlos, und wenn sie schließlich doch etwas sagte, so war es, als hätten wir schon monatelang heftig und aufgebracht über den Fall diskutiert, und Nunu setzte am Ende mit einem kurzen Satz gleichsam den Punkt hinter die Debatte.
    Auf diese Art redete sie jetzt, während sie sich auf dem Bettrand niederließ: »Hast du den Ring prüfen lassen?«
    Ich richtete mich im Bett auf und rieb mir die Schläfen. Ich wußte, woran sie dachte, ich wußte auch, daß sie recht hatte. Wir hatten nie davon gesprochen, und vielleicht hatte ich ihr den Ring gar nicht gezeigt, und doch wußte ich, daß sie wieder recht behalten würde, daß der Ring gefälscht war, wie ich wohl ahnte. In solchen Sachen war Nunu unheimlich. Wann hatte sie von dem Ring gehört? fragte ich mich. Dann aber wies ich die Frage von mir, denn es war ganz natürlich, daß Nunu von allem wußte, was zum Haus, zur Familie, zu mir und meinem Leben gehörte, von allem, was im Keller oder auf dem Dachboden oder im Leben meiner Schwester verborgen gewesen war. So wußte sie auch von dem Ring. Ich hatte seine Geschichte fast schon vergessen, denn ich dachte nicht gern daran. Als Vilma gestorben war, gab Lajos mir das Schmuckstück, den Ring der Großmama. Der mittelgroße, in Platin gefaßte Diamant war der einzige Wertgegenstand der Familie. Ich verstehe gar nicht, wie er in unserem Besitz bleiben konnte. Sogar Vater hatte den Ring in Ehren gehalten, mit abergläubischer Vorsicht, Vater, der sich von Besitz und Wertgegenständen so leicht trennte. Das Schmuckstück war wie einer der berühmten Diamanten aus dem Besitz der königlichen Familien, eine Art Koh-i-Noor oder sonst ein Edelstein mit Pedigree, den man niemals in gängigen Wert ummünzen würde und der nur da ist, um an offiziellen Feiertagen der Dynastie am Finger oder auf der Stirn eines Familienmitglieds zu erstrahlen. Auf diese Art wurde in unserer Familie »der Ring« über vier Generationen gehütet. Den tatsächlichen Wert des Steins kannte ich nicht. Jedenfalls mußte er recht bedeutend sein, wenn auch nicht so beträchtlich, wie es die Familienlegende haben wollte. Er ging von Großmama auf Mama über, nach Mutters Tod bekam ihn Vilma. Als Vilma gestorben war, drängte ihn Lajos, in einem seiner sentimentalen, pathetischen Momente, mir auf.
    Ich erinnere mich noch gut an die Szene. Vilma war am Nachmittag beerdigt worden. Als wir vom Friedhof zurückkamen, legte ich mich im abgedunkelten Zimmer erschöpft auf ein Sofa. Lajos kam herein, von Kopf bis Fuß in Trauer – er hatte sich für die Trauer so sorgfältig gekleidet wie ein Soldat für die Parade, ich weiß noch, daß er sich eigens schwarze Manschettenknöpfe hatte anfertigen lassen –, und er überreichte mir mit ein paar ernsten Worten den Ring. Ich war so müde und verwirrt, daß ich Lajos gar nicht recht verstand, ich sah zerstreut zu, wie er den Ring auf das Tischchen neben dem Sofa legte, und als er mich später noch einmal auf den Ring aufmerksam machte und ihn mir an den Finger steckte, leistete ich keinen Widerstand. »Dir gebührt der Ring«, sagte er mit Grandezza. Später kam ich zur Besinnung. Natürlich gehörte der Ring Éva; er gehörte der Tochter meiner verstorbenen Schwester, so hatte es seine Richtigkeit. Aber Lajos wollte davon gar nichts wissen. Ein solcher Ring, sagte er, sei kein Wertgegenstand, sondern ein Symbol, das Symbol der familiären Rangordnung. Nach Mutters und Vilmas Tod gebühre er also mir, der jetzt ältesten Tochter. Ich konnte nichts machen.
    Ich schwieg und versorgte den Ring. Selbstverständlich wollte ich ihn keinen Augenblick behalten. Mein Gewissen und der Brief, den ich für den Fall meines Todes geschrieben habe – er liegt neben dem Ring im Wäscheschrank –, sind Zeugen, daß ich den Ring für Éva aufbewahrt und dafür gesorgt habe, daß sie ihn nach meinem Tod erhält. Später habe ich beschlossen, ihn ihr zur Verlobung oder Hochzeit zu schicken, falls es dazu kommt. Der Brief, in dem ich über meine ärmlichen Wertsachen verfüge, bezeichnet unmißverständlich Vilmas Waisen als Erben, unter der Bedingung, daß sie Haus und Garten nicht verkaufen, solange Nunu lebt. (Irgendwie stelle ich mir vor, daß Nunu noch lange leben wird – warum auch nicht? Sie hat keinen besonderen Grund zum Sterben, so wie sie auch keinen besonderen Grund zum Leben hat. Mich jedenfalls wird sie überleben. Ein abenteuerliches und beruhigendes Gefühl.)
    Ich versorgte den
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