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Das verlorene Land

Das verlorene Land

Titel: Das verlorene Land
Autoren: J Birmingham
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die Finger gleiten und warf einen Blick über die smaragdgrüne Ebene, die sich vor ihm unter dem grauen Himmel ausbreitete. Seine Stute, die er an einem Zaunpfahl angebunden hatte, senkte den Kopf und zupfte am Gras. Mit saftigen Halmen bewachsene Erdschollen lösten sich aus der Erde, und das Pferd verschlang genussvoll die fleischigen Blätter, während Miguels älteste Tochter ihm mit der Hand über das kastanienbraune Fell strich. Er wollte sie schon zur Vorsicht ermahnen, aber dann ließ er es bleiben. Sofia war zwar gerade erst ein Teenager geworden, aber sie bewegte sich ganz selbstverständlich inmitten von Pferden, weil sie es so gewohnt war.
    Miguel wandte sich wieder seinem Besitz zu. Eintausend Morgen Land waren es, jetzt noch in Staatsbesitz, aber in einigen Jahren würde es an ihn übergehen. Genauso wie das Vieh und was sonst zu diesem Anwesen dazugehörte, das Haus, die Scheunen, die Ausrüstung, alles. Und etwas anderes kam noch hinzu, etwas, das noch viel kostbarer war, die Staatsangehörigkeit. Eine Heimat. Von jetzt an und für immer würden er und seine Familie für El Presidente Kipper arbeiten, und Miguel war glücklich darüber. Während er über das Land blickte, sah er,
wie ein Dutzend Weißwedelhirsche sich über eine Anhöhe bewegte, Fleischlieferanten auf vier Beinen, die aus Australien importiert worden waren. Mit gesenkten Köpfen und hin und her fliegenden Schwänzen bewegten sie sich zielstrebig über den dichten Teppich nahrhaften Grases und suchten nach den besonders saftigen Stellen. Miguel hatte schon recht früh herausgefunden, dass diese besonders saftigen Stellen Hinweise auf den Verbleib der früheren Bewohner der Ranch waren, größtenteils Longhorn-Rinder. Obwohl die meisten Tiere den Effekt gut überstanden hatten, waren viele Arten während des anschließenden ökologischen Zusammenbruchs verschwunden.
    »Sofia«, rief er laut. »Sattle dein Pferd, es wird Zeit für einen Kontrollritt durchs Gelände.«
    Er sprach jetzt Englisch mit seiner Tochter und legte Wert darauf, sich mit allen Familienmitgliedern in dieser Sprache zu verständigen. Englisch war die Sprache ihrer neuen Heimat, und sie würden sich hier besser hineinfinden, wenn sie sie gut beherrschten. Er verbot niemandem Spanisch oder Portugiesisch zu sprechen, schließlich waren das die Muttersprachen seiner Angehörigen, aber er ermutigte niemanden, sie zu benutzen. Für Miguel war klar, dass seine recht ausgedehnte Familie nicht bloß einfache Bauern waren. Er verstand sich als Siedler, als Pionier, der ein neues Kapitel in der Geschichte dieses Landes aufschlug, und er wollte, dass seine Kinder einmal in dieser Geschichte eine wichtige Rolle spielten. Wahrscheinlich würden sie ihr Leben lang auf dieser Ranch arbeiten, aber ihre Kinder wiederum würden eines Tages auf eine Universität im Nordwesten gehen oder vielleicht sogar im Osten, wenn die Banditen und sonstigen Kriminellen von dort vertrieben und die Städte wieder für ehrbare Leute bewohnbar waren.
    Seine Tochter führte beide Pferde herüber, sein großes und ihr kleineres Pony.

    »Dad, ist denn nicht bald Zeit fürs Mittagessen?«, fragte sie mit einem leichten australischen Akzent, den sie sich während der achtzehn Monate in einem Flüchtlingslager in der Nähe von Sydney eingefangen hatte. Alle seine Kinder hatten sich dort diese flache, nasale Sprechweise angewöhnt, die in seinen Ohren fremdartig klang, aber er machte sich nicht die Mühe, sie zu korrigieren. In einigen Jahren würden sie den texanischen Tonfall übernommen haben. Der war für Miguel zwar genauso fremd, aber zumindest gehörte er hierher. Nicht dass er etwas gegen Australien gehabt hätte. Dort zu leben war gar nicht schlecht gewesen, das musste er zugeben. Vor allem gab es dort nicht so viele gefährliche Zwischenfälle wie auf dem Boot von Miss Julianne. Sie hatten ein Dach über dem Kopf gehabt und genügend zu essen. Die Kinder konnten in die Schule gehen, und die Erwachsenen arbeiteten sechs Tage die Woche für irgendwelche Regierungsprojekte. Größtenteils im Agrarbereich, aber einige halfen auch, ein paar Monate lang Eisenbahnlinien für die Armee zu bauen. Schließlich war die Welt allmählich wieder in so etwas wie einen Normalzustand zurückgekehrt … auch wenn man das eigentlich nicht normal nennen konnte. Aber die Verhältnisse hatten sich beruhigt, und die Turbulenzen, die nach dem Großen Verschwinden ausgebrochen waren, hatten sich gelegt. Und Miguel und
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