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Das verlorene Land

Das verlorene Land

Titel: Das verlorene Land
Autoren: J Birmingham
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schwülen Tag ziemlich lästig sein musste. Der Präsident hingegen trug Jeans, Schnürstiefel von Carhartt und eine kugelsichere Weste über einem alten Hemd von L. L. Bean. Sogar diese ziemlich praktische Kleidung war an diesem feuchtheißen Tag nicht gerade bequem.
    »Nur noch eine Minute, Jed.«
    Kipper sah die Statue an und fragte sich, was wohl wirklich an diesem Tag durch Washingtons Kopf gegangen war. Er war der Führer einer frisch geborenen Nation geworden, deren Staat am Rand einer weiten Wildnis existierte,
umgeben von tatsächlichen und möglichen Feinden. Entgegen dem Rat vieler Offiziere hatte er das Kommando über die Armee abgegeben. Er hatte vollstes Vertrauen in das Regierungssystem, das er gerade eingeführt hatte. Das war ein Grundsatz, den Kipper von George Washington übernommen hatte.
    Kipper hatte sich selbst dazu verdonnert, die Biografien seiner Amtsvorgänger zu lesen, weil er sich für dieses Amt nicht im Geringsten qualifiziert fühlte. Dennoch hatte er nicht herausgefunden, was diese Männer im Innersten bewegt hatte. Wenn überhaupt, dann konnte er sich mit Truman ein wenig identifizieren, der gar nicht glücklich darüber gewesen war, dass ihm nach dem Tod von Roosevelt die Regierungsgeschäfte zufielen.
    Aber wenigstens hatte er geahnt, was auf ihn zukam, dachte Kipper reumütig. Er dachte an den Weg, den er gegangen war: Als unbekannter Chef der Stadtwerke von Seattle war er zum provisorischen Präsidenten ernannt und schließlich für eine volle vierjährige Amtszeit gewählt worden. Nun war er seit Januar 2004 der Präsident der Überreste der Vereinigten Staaten von Amerika. Kurz danach hatte sich der zerstörerische Effekt verflüchtigt. Es war der reine Wahnsinn.
    »Okay, ich habe wohl erst mal genug gesehen«, lenkte er ein. »Ich dachte nur, es könnte vielleicht wichtig sein, mal persönlich einen Blick darauf zu werfen.«
    »Genau dafür lieben die Leute Sie, Sir«, sagte Culver lächelnd. »Sie machen sich die Hände schmutzig, wenn es sein muss. So, können wir jetzt zum Konvoi zurückgehen? Ich bekomme hier nur Alpträume.«
    Sie gingen den gleichen Weg durch die Wall Street zurück und achteten darauf, den hier und da herumliegenden Kleiderhaufen auszuweichen, die nicht weggeweht oder weggespült worden waren. Es waren nicht mehr viele davon übrig. Culver und Kipper kamen an einem im Weg
stehenden, verrosteten Kinderwagen vorbei, der auf die Seite gefallen war. Beide vermieden es geflissentlich hineinzusehen. An einem bestimmten Punkt fiel ein Lichtstrahl zwischen zwei ausgebrannten Gebäuden hindurch und beleuchtete eine kleine Galaxie blinkender Sterne auf dem Bürgersteig. Einige der weniger gut organisierten Freibeuter taten nichts weiter, als die Straßen nach Ringen, Uhren, Halsketten oder ähnlichen kleinen Kostbarkeiten abzusuchen, die übrig geblieben waren, nachdem ihre Besitzer verschwunden waren. Hier lagen immer noch jede Menge Wertsachen herum. Als Kipper einer teuer aussehenden, silbrig glänzenden Uhr auswich, hörte er entferntes Gewehrfeuer. Sein Sicherheitschef sprach sofort ins Funkgerät, aber Kipper ging davon aus, dass es sich nur um ein kleines Scharmützel handelte, das zu weit entfernt war, als dass es sie betraf.
    Der Konvoi erwartete sie an der Kreuzung zur William Street. Es waren vier schwarze Humvees des Secret Service und drei mit Maschinengewehren und Granatwerfern bestückte Strykers. Weitere Sicherheitsleute eilten ihnen entgegen.
    »Gibt’s Ärger?«, fragte Jed.
    »Nichts, was wir nicht in den Griff bekommen könnten, Sir«, sagte der Befehlshaber. »Nur ein kleines Feuergefecht auf dem Kanal. Hat nichts mit uns zu tun, aber wir sollten trotzdem aufbrechen.«
    Kipper hörte deutlich mehrere Explosionen in einiger Entfernung. Das dumpfe Rattern der Hubschrauber wurde lauter, entfernte sich aber, bevor sie zu sehen waren. Immerhin sind es welche von uns, dachte er. Keine fremde Nation hat bislang gewagt, in das souveräne Territorium der Vereinigten Staaten einzudringen.
    Die Sicherheitsleute drängten ihn in sein Fahrzeug. Culver stieg sofort nach ihm ein, dann kam Karen Milliner. Ihre teuren schwarzen Seidenhosen waren staubig und
schmutzig. Sie schob sich auf den Sitzplatz direkt gegenüber von Kipper.
    »Tut mir leid, Sir, aber ich habe gerade mit dem Sicherheitschef gesprochen und fürchte, ich muss Sie bitten, diese Tour abzubrechen. Heute Morgen hat es drei größere Feuergefechte auf der Insel gegeben und weitere drüben in
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