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Das verlorene Land

Das verlorene Land

Titel: Das verlorene Land
Autoren: J Birmingham
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würden.
    »Worüber amüsierst du dich denn, Papa?«, fragte Sofia, nachdem sie ihren Apfel verspeist hatte.
    »Ach, nichts«, sagte er zufrieden. Dies hier war seine Heimat. Bald würde die Ranch ihm gehören. Seine Herden wurden größer und fraßen sich fett auf den saftigen Weiden. Sogar die Apfel-Plantage neben der Hazienda machte sich gut. Aus der Ernte konnte man einen schmackhaften Cidre herstellen, der zu den beliebtesten Getränken in Marias Rasthaus gehörte und auch von den anderen Farmern geschätzt wurde. Selbst der Maiswhiskey war nicht von schlechten Eltern.
    Sie kamen wirklich gut voran, dachte er, als er seinem Pferd den Hals streichelte. Die Stute spitzte ihre Ohren und schaute auf. Sie erzitterte leicht und zog am Geschirr, aber er hielt sie fest.
    »Ruhig«, flüsterte er auf Spanisch. »Ganz ruhig.«
    Und dann hörte er es auch, das Knallen von Gewehrschüssen. Ihm war, als würde ihm ein Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf gekippt. Das Geräusch erinnerte ihn an die Hagelkörner, die manchmal auf das Blechdach seines Geräteschuppens fielen. Aber er wusste sehr genau, dass es sich hier um Schusswaffen handelte. Hatten die Onkel die Jungs zu Schießübungen mitgenommen? Sie nahmen alle regelmäßig an solchen Übungen teil, aber die fanden normalerweise erst nach dem Abendessen statt, und es wurde kontrolliert geschossen, um die Treffsicherheit zu erhöhen. Diese Geräusche jedoch klangen eindeutig nach einem Feuergefecht.
    Es gibt Ärger, dachte er.
    Eilig ritt er den kleinen Hügel hinauf, der ihm die Sicht auf seine Ranch versperrte, und stieg ab, bevor er die
Kuppe erreichte. Sofia folgte ihm. Sie schien sich über seinen besorgten Gesichtsausdruck zu wundern. Sie hielt die Pferde fest, während ihr Vater auf die Anhöhe stieg. Er hörte weiteres Knallen und glaubte, auch Schreie zu vernehmen. Sein Herz pochte heftig, und in seinem Magen breitete sich ein ungutes Gefühl aus. Er warf sich auf den Boden, griff nach dem Fernglas, das er um den Hals trug, und schaute hindurch. Vor der Hazienda standen fremde Fahrzeuge. Einige davon waren Geländewagen mit Vierradantrieb, die, wie die Gringos es ausdrückten, »höher gelegt« waren, damit sie im Gelände besser manövrieren konnten. Sie waren schmutzig, verbeult und mit allerlei Sachen beladen. Diebesgut, dachte er sofort. Zwanzig oder mehr Männer, bewaffnet mit militärischem Gerät, waren über das Gelände von Miguels Besitz ausgeschwärmt.
    Leichen lagen herum.
    Miguel spürte, wie sich seine Gedärme zusammenzogen, als er einen der leblosen Körper näher in Augenschein nahm. Die kleine Maya, die gerade mal sieben Jahre alt war, lag auf dem Rücken und starrte in den grauen winterlichen Himmel. Da wo ihr Bauch gewesen war, konnte man nur noch eine hässliche rote Masse erkennen. Erinnerungen überfielen ihn, wie sie lachend umherrannte oder sich weinend darüber beklagte, dass ihre Windeln sie kratzten. Neben dem Kind lag Oma Ana mit dem Gesicht nach unten, ihre erstarrte Hand umkrampfte noch das Messer, mit dem sie sich verteidigt hatte. Einer der Angreifer trat gegen ihre Leiche, während er sich den verletzten Arm verband.
    Sofia rannte zu ihm. Sie zitterte vor Angst.
    »Was ist denn los, Papa?«
    »Bleib zurück!«, sagte er grob. Seine Kehle krampfte sich zusammen, er bekam kaum einen Laut heraus.
    Von der Hazienda drangen Schreie zu ihnen, das schrille Heulen einer Frau, es war seine eigene. Sie schrie in ihrer
Muttersprache und schlug auf ihre Peiniger ein, die allesamt Weiße zu sein schienen, auch wenn die meisten von ihnen so schmutzig waren, dass man es kaum erkennen konnte.
    Road Agents, dachte er. Das Wort klang in seinem Hinterkopf nach wie die Rasseln einer Klapperschlange. Eine Horde von vorgeblichen Landarbeitern in Kampfanzügen oder Cowboy-Outfit, die in Wahrheit nichts weiter waren als Plünderer und Banditen. Wie eine Heuschreckenplage tauchten sie in den abgelegenen Gebieten der Texanischen Republik auf und richteten Unheil an. Aber Miguel hatte noch nie gehört, dass sie sich so weit auf das Bundesgebiet trauten. Deshalb hatte er sich mit seiner Familie ja hier angesiedelt, weil es sicher war. Eine ungeheure Wut erfasste ihn, als ihm klarwurde, wie sehr er sich geirrt hatte. Er hatte sie hierhergeführt, und nun starben sie vor seinen Augen. Er zitterte so heftig, dass er kaum noch in der Lage war, deutlich zu erkennen, was dort drüben passierte. Es war in gewisser Weise ein Segen, denn in diesem Moment machten
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