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Das Verlies der Stuerme

Das Verlies der Stuerme

Titel: Das Verlies der Stuerme
Autoren: Boris Koch
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einen neuen suchte, schließlich wusste niemand, wie wenig er neuerdings vom Entflügeln der Drachen hielt. Und
da er nicht sonderlich gut mit dem Orden stand, war auch ein Ausweichen auf den Schwarzmarkt glaubwürdig. Nun kam es nur noch darauf an, dass sie Ben die Geschichte tatsächlich glaubten.
    »Um diese Zeit und zu Fuß?«, fragte der Mann. Dass Ben zu Finta gehörte, schien er erst mal hinzunehmen.
    »Nun ja …« Ben zuckte mit den Schultern. Noch bevor er mit dramatischen Worten erzählen konnte, dass sich sein dämlicher Gaul den Fuß gebrochen hatte und er vom langen Marsch mit einem verstauchten Fuß erschöpft war, trat der zweite Mann aus dem Schatten.
    »Ich dachte, Herr Dogha wollte morgen selbst kommen?«, fragte er.
    »Äh, ja«, sagte Ben lahm und hoffte, man sah ihm die Überraschung nicht an. In seinem Kopf überschlug sich alles. Wollte sich Finta nach dem Verlust seines Drachen tatsächlich einen neuen kaufen, bei allem, was er inzwischen erfahren hatte? War es für ihn als Händler wirklich so wichtig, einen Drachen zu haben, um die Geschäftspartner zu beeindrucken? Tiefe Enttäuschung bemächtigte sich Ben. Das durfte und konnte nicht sein. Oder wusste Finta gar, dass es sich um Aiphyron handelte, und wollte er ihn lediglich freikaufen? Aus Dankbarkeit, weil sie ihn vor dem Sturm gerettet hatten. Das erschien Ben viel wahrscheinlicher, und bei diesem Gedanken durchströmte ihn Dankbarkeit. »Nun ja, ich bin sozusagen die Vorhut.«
    »Vorhut, so, so.« Misstrauisch betrachtete ihn der Erste. »Ist hier eher unüblich, oder?«
    »Nun ja, ich kenn mich mit Drachen aus … Ich …« Das Wissen um Fintas Kommen hatte Ben durcheinandergebracht.

    »Lass ihn rein, Jjengho«, sagte da der zweite. »Er sieht erschöpft aus, und ich bin mir sicher, ihn schon bei Herrn Dogha gesehen zu haben. Wer sollte ihn denn sonst geschickt haben?«
    »Du kennst ihn?« Langsam hellte sich das Gesicht des Ersten auf. »Nun, dann komm rein, Herb. Der Drache ist schräg gegenüber. Wenn du sonst noch etwas brauchst, sag Bescheid.«
    Jetzt ließen sie ihn eintreten, ohne weitere Fragen zu stellen, keiner begleitete ihn, um ihn zu überwachen. Das war viel leichter gegangen, als er gedacht hatte. Von einer Bande Schwarzhändler hätte er mehr Misstrauen erwartet, aber da hatte ihm eben der Zufall geholfen. Dass Finta am nächsten Tag herkommen wollte, war einfach ungeheures Glück. Warum sich der Händler einen Drachen besorgen wollte, darüber würde er später nachdenken, jetzt galten all seine Gedanken Aiphyron. Finta war unwichtig.
    Mühsam unterdrückte Ben den Wunsch, einfach loszurennen, und schritt angemessen gemächlich zum Stall hinüber. Das breite Tor deutete darauf hin, dass hier schon Drachen gehalten worden waren, als der Hof noch intakt gewesen war. Ein Mann, der mit einer Flasche in der Hand vor dem anschließenden Gebäude lehnte, grüßte ihn mit einem knappen Nicken. Ben hob kurz die Hand.
    Der Stall war nicht verschlossen. Ben trat ein und zog die Tür hinter sich zu. Beim Gedanken daran, Aiphyron wiederzusehen, wurden seine Knie weich. Wenn auch einen Aiphyron ohne Flügel. Ben griff nach der Lampe neben dem Eingang und entzündete sie. Mit ihr in der Hand ging er langsam weiter und entdeckte den gesuchten Drachen in der ersten Box.

    »Aiphyron«, flüsterte Ben. Vor Freude schlug sein Herz schneller.
    Der Drache blickte ihn mit matten Augen an. Ein Hauch von Wiedererkennen lag in ihnen, doch sie hatten ihr Feuer und ihre Lebendigkeit verloren. Als er grinste, wirkte es fast wie ein Zähnefletschen. Dennoch kam ihm der Drache an die Stalltür entgegen. Ihn ohne Flügel zu sehen, versetzte Ben einen Stich. Obwohl er es gewusst hatte, verursachte ihm der Anblick der frisch vernarbten Schulterknubbel Schmerzen, er hatte das Gefühl, sich an der Schulter kratzen zu müssen.
    Hastig stellte Ben die Lampe ab und öffnete die Tür. Er schlüpfte zu Aiphyron hinein und strich ihm vorsichtig über die Schnauze. Der Drache schnurrte, und Ben umarmte ihn vor Freude.
    »Alles wird gut«, murmelte er und kletterte auf Aiphyrons Rücken. Schmiegte sich an ihn, legte sein Ohr auf die Schuppen, um das große Herz schlagen zu hören. Rasch richtete er sich wieder auf und streichelte zärtlich über die Schulterknubbel. Dann legte er die Hände darauf und all seine Kraft und Wünsche in einen einzigen Gedanken: »Heile.«
    Das vertraute Kribbeln durchfuhr ihn so heftig, dass er beinahe losgelassen hätte.
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