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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort
Autoren: Ulla Hahn
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Ofen angemacht, zum ersten Mal in diesem Herbst, den ganzen Vormittag habe sie sich abplagen müssen mit dem alten Ding, hier, und sie zeigte mir die pfenniggroße Brandblase in ihrer schwieligen Handfläche.
    Der Vater hatte sich umgezogen, trug seine beigebraune Strickjacke, die wir in Köln gekauft hatten, und ein sauberes Hemd zur verbeulten Hose, die vor Jahren einmal zum Sonntagsanzug gehört hatte. Auf dem Couchtisch lag Rosenbaums Brief. Daneben zwei Sammeltassen mit Untertassen und Kuchentellern. Die Mutter hatte gebacken. Über einen der Teller lief ein Sprung wie ein ausgefallenes Haar. Wir saßen stumm. Einmal streckte die Großmutter den Kopf zur Tür herein, der Vater knurrte, raus.
    Es klingelte. Die Mutter und ich sprangen auf. Der Vater rutschte unbehaglich tiefer in den Sessel, der grünsamten und ausladend die ganze Ecke neben dem Ofen einnahm, erst vor kurzem hatte ihn die Bürgermeisterwitwe ausrangiert.
    Die Mutter stieß einen Schrei aus. Rosenbaum war nicht allein gekommen. Er hatte Pastor Kreuzkamp und Lehrer Mohren mitgebracht. Die Mutter warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu. Die drei Männer stauten sich im Flur. Die Großmutter hörte die Stimme des Pastors und eilte aus der Küche, selbst der Bruder warf einen Blick auf die Versammlung.
    Die Mutter stellte noch zwei Tassen und Teller hinzu, schnitt Kuchen auf, die Großmutter kam mit der Kaffeekanne, der großen mit dem Zwiebelmuster. Bis die Frauen und ich das Zimmer verlassen hatten, redeten die Männer vom Wetter, alle waren sich einig: das war kein gutes Jahr. Für die Bauern nicht und nicht für die von drüben.
    Esch wes jitz, wat die wolle, flüsterte die Mutter mir draußen zu, als hätten die Wände Ohren. Wenn dat blos jut jeht. Du häs doch op dr Papp su en jode Stell. Wat wills de dann noch mi?
    Im Holzstall erwartete mich der Bruder, neugierig auch er. Außer bei den Sonntagsmahlzeiten hatte ich ihn in den letzten Wochen nur selten zu Gesicht bekommen. Für ihn gab es zu Hause keinen Platz, der nur ihm gehörte. Ich hatte wenigstens meinen Verschlag. Wenn das Wetter es irgend zuließ, war der Bruder draußen. Meist am Rhein, wo sich immer ein paar andere Jungen fanden, um Olympiaden auszutragen, wie sie es aus Fernsehen und Zeitschriften kannten. Eine Weile spielte er auch in der Jugendmannschaft des Dondorfer Fußballvereins. Seine Hausaufgaben machte er an einer Ecke des Küchentisches, auf alten Bonifatiusblättern, um das Wachstuch zu schonen. Seit ich zur Pappenfabrik ging, hatte ich ihm erlaubt, sich an mein Tischchen im Stall zu setzen. Ich fand nie eine Spur von ihm.
    Ihn ins Vertrauen zu ziehen fiel mir nicht schwer. Er rannte gleich los und kam mit dem kleinen >Stowasser<, seinem Lateinbuch, >Ludus Latinum*, und einer Grammatik zurück. Arno, amas, amat, ließ er mich deklinieren, amamus, amatis, amant. Wir erfreuten uns an den Wörtern, spielten mit ihnen, wie wir es als Kinder getan hatten. Meine Freude war größer als je zuvor. Ich würde diese Sprache lernen, die ich einmal für die Sprache Gottes gehalten hatte, die Sprache, die mir das Fundament für alle schönen Wörter, die Bücher, das Wissen schlechthin bedeutete, die Sprache, die mir den Grundstein für ein herrliches Leben zu le-gen schien. Gut war es, daß in dieser Stunde der Bruder bei mir war, der Bruder und die schönen, neuen Wörter, die wir uns zuwarfen, auffingen, verwandelten, aufsteigen ließen mit unserem Atem, um sie wieder in den Gesetzen der Grammatik zu versenken, wo sie allezeit warten würden, die schönen Toten, daß einer ihnen seinen Atem einhauche in ihr immergleiches, ewiges Leben.
    Wir kamen bis zur dritten Lektion: >Lupus est in silva.<
    Dann endlich hörten wir die leichten, schnellen Schritte der Mutter, die sich immer fortbewegte, als hätte man sie gerade aufgeschreckt. Sie hielt noch ein Stück Messingkette in der einen, den Haken in der anderen Hand. Sie rief meinen Namen, nicht Hilla, nicht Heldejaad, ein feierlich hochdeutsches Hildejard rief sie, daß der Bruder mich verdutzt und ungläubig ansah.
    Amoamasamat, flüsterte er und puffte mich in die Rippen. Amamusamatisamant, flüsterte ich zurück. Zwei Verschwörer, ein Losungswort, Zauberwort, Schutzwort, gegen alles Böse, Verfolgung und Pein.
    Rosenbaum saß vor dem Schrank mit der Standuhr von der Kirmes, mit dem Stöckchen hinter der Uhr. Er nickte mir aufmunternd zu. Pastor Kreuzkamps Gesicht war rot, als hätte er gerade seinen Pfarrkindern von der Kanzel
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