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Das verborgene Wort

Das verborgene Wort

Titel: Das verborgene Wort
Autoren: Ulla Hahn
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schlug dem verdutzten Mann die Haustür vor der Nase zu.
    Rosenbaums Brief kam schon am übernächsten Tag, auf dem Papier der Realschule Großenfeld, mit rundem Stempel über der Unterschrift, einschüchternd offiziell. Der Lehrer bat um eine Unterredung mit dem Erziehungsberechtigten von Fräulein Hildegard Palm. Wenn er nichts Gegenteiliges höre, würde er sich erlauben, am Freitag um achtzehn Uhr bei Herrn Josef Palm vorzusprechen.
    Wat es dann jitz ald widder los? knurrte der Vater, riß der Mutter den Brief aus der Hand und schlug auf das Papier.
    Weiß nicht, brachte ich wenig überzeugend hervor, hochrot und mit einem Herzen, doppelt so groß wie meine Brust.
    Aha, du wees et nit, brummte der Vater ungeduldig. Am Fri- dach welle kumme? Losse kumme. Weeß dä Düvel, wat dä well. Du häs doch met dä Scholl nix mi ze dunn. Du häs doch usjeliert. Der Vater lachte trocken, unfroh.
    Mer liert ni us, mischte sich die Großmutter ein und warf die Herdringe durcheinander.
    Dä Rosenbaum es ene feine Mann, sagte die Mutter, dä hät dat
    Heldejaad sujar heem jebräät. Nur de Haar künt he sesch besser kämme. Do sühst du besser us.
    Dä Vater brummte noch einmal >losse kumme* und verschwand in seinem Schuppen.
    Ich kaufte mir eine neue Flasche Escorial grün. Saß davor und zwang mich zu denken: Alkohol, Fusel. Doch der grüne Geist, Spiritus verde, drängte sich immer wieder dazwischen, verführerisch, verlockend. Alkohol, Fusel, Alkohol, Alkohol, ich nahm das Wort in den Mund, versuchte, Abscheu zu wecken wie vor der Beichte Reue und Demut, heftete den Blick auf die Flasche, der ich das Geschenkpapier herunterstreifte, daß die grüne Flüssigkeit, Alkohol, Alkohol, Fusel, Fusel, ihre Reize durchs Glas blicken ließ. Ich drehte den Verschluß, schnupperte, Alkohol, Alkohol, den vertrauten Geruch, verboten, versprochen, verboten.
    Da griff ich noch einmal, wie bei der Suche nach schönen Wörtern, für die schmutzigen zum Lexikon. Alkohol. >Das Denkvermögen verliert an Schärfe, das Gedächtnis wird unsicher, die Sinne versagen den Dienst, das Gehirn verliert seine Herrschaft über den Körper, so daß die Bewegungen unsicher werden und endlich Schlafsucht und völliger Verlust des Bewußtseins sich anschließen.* Von Säuferwahnsinn las ich, von Delirien, Blödsein, Blutüberfüllung des Gehirns, Blutergüssen in das Gehirn, Entzündungen der Hirnsubstanz mit anschließendem Hirnschwund, von Säuferleber und Bauchwassersucht. Alkohol. Alkohol. Ich schob das Geschenkpapier wieder über die Flasche. Mich von ihr trennen, wollte ich noch nicht. Wer weiß, wie der Freitagabend ausging.
    Wort zu halten war schwer. Besonders da, wo mir der helle Ge..., der Alkohol, zum ersten Mal geholfen hatte, im Büro. Meine Nerven breiteten sich wie ein Netz über Schreibtische, Rollschränke, Aktenordner, Schreibmaschinen, zogen die Wände hoch und über die Decke, sich immer weiter und feiner verästelnd; was auch immer in diesem Raum geschah, spürte ich unmittelbar auf meiner Haut als schmerzhaftes Prickeln, Pressen, Stoßen. Unter Frau Wachtels Tastenhagel krümmte ich mich manches Mal wie unter Gertenhieben; wenn das Feuerzeug klickte, zuckte ich auf, Arme und Beine von mir schleudernd;
    traf der erste Ausstoß des Qualms meine Nase, mußte ich mitunter würgend das Zimmer verlassen.
    Auch das Maschinenschreiben, auf den Schwingen des grünen Geistes, pardon, unter Alkoholeinfluß, ein stumpfsinniger Firlefanz, wurde wieder zur Qual. Ein »Hochachtungsvoll* war wieder ein »Hochachtungsvoll*, ein Kubikmeter ein Kubikmeter, ich war gezwungen, die Wörter wieder zur Kenntnis zu nehmen, so, wie sie waren, geschäftsmäßig, sachlich, gewöhnlich, überwältigend wie Quecke in einem verwilderten Garten.
    Aber über mir schwebte die Verheißung des Freitagabends: »Widersagt ihr dem Teufel? Wir widersagen. Und all seinen Werken? Wir widersagen!* Ich rührte die Flasche nicht an. Selbst nach dem Auffüllen des Luftbefeuchters bei Dr. Viehkötter erlag ich den Einflüsterungen des Satans, der mir noch einmal einen Underberg - reine reine reine Medizin - einzuflößen versuchte, nicht. Sogar - Jott, Kenk, wie sühst du dann us! Du bes jo janz jrön em Jesesch! - das mit Melissengeist getränkte Zuckerstück der Großmutter verschmähte ich. Sollte ich doch aussehen wie das Leiden Christi. Er war auch nach drei Tagen wiederauferstanden von den Toten.
    Das Wohnzimmer war warm, als ich am Freitag nach Hause kam. Die Mutter hatte den
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