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Das unsichtbare Buch

Das unsichtbare Buch

Titel: Das unsichtbare Buch
Autoren: Santiago García-Clairac
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sie mit einem seltsamen Ausdruck im Gesicht.
    »Jawohl«, fährt Lucía fast trotzig fort, »es war gar nicht so einfach.«
    »Was meinst du damit?«, fragt mein Vater.
    »Na ja, nachdem wir einmal angefangen hatten, die Geschichte zu lesen, konnten wir nicht mehr aufhören – und dann wurde es ganz schön kniffelig.«
    »Seit wann lest ihr Das unsichtbare Buch ?«
    Ich zögere ein wenig mit der Antwort, doch schließlich traue ich mich zu sagen: »Fast von Anfang an.«
    »Ihr habt die Geschichte also die ganze Zeit über heimlich mitgelesen?«, fragt mein Vater wie vom Donner gerührt.
    »Ja, Señor«, antwortet Lucía. »Es ist eine sehr spannende Geschichte … und so aufregend.«
    »Ich habe die Seiten ausgedruckt und in die Schule mitgenommen«, gestehe ich. »Aber hier in deinem Arbeitszimmer sind wir das erste Mal.«
    »Ehrlich, und schuld daran ist der kaputte Drucker«, fügt Lucía hinzu.
    »Das ist ja unfassbar«, sagt Papa und steht auf.
    Er schlägt die Hände vors Gesicht und geht hinaus. Wir wissen nicht, was wir machen sollen. Also bleiben wir vorsichtshalber im Zimmer sitzen und verhalten uns still.
    Kurz darauf kommt mein Vater mit einem Bier in der Hand zurück.
    »Ich bin wie vor den Kopf geschlagen«, sagt er und lässt sich auf seinen Stuhl fallen. »Ich kann es gar nicht glauben.«
    »Aber es ist die Wahrheit! Wir haben uns sogar wegen des Unsichtbaren Buches geprügelt«, erzählt Lucía.
    »Die anderen haben uns deswegen ausgelacht«, ergänze ich.
    »Aber das war uns egal, wir haben weitergelesen.«
    »Ja, und wir hatten viel Spaß daran.«
    »Es war, als hätten wir das Abenteuer selbst erlebt.«
    »Nein«, widerspreche ich, »es war ein richtiges Abenteuer.«
    Während wir reden, habe ich das Gefühl, dass sich unsere Lage verbessert.
    In diesem Augenblick wird die Haustür aufgeschlossen.
    »Hallo!«, ruft Mama fröhlich. »Da bin ich wieder!«
    Ein paar Sekunden später steht sie in der Tür zu Papas Arbeitszimmer. Sie will etwas sagen, doch als sie bemerkt, dass hier dicke Luft herrscht, verschwindet ihr Lächeln.
    »Was ist los? Ist was passiert?«
    »Setz dich«, sagt mein Vater, »und hör dir an, was die beiden gemacht haben.«
    Sie kommt herein, setzt sich mit verschränkten Armen und wartet geduldig, dass ihr jemand etwas erzählt. Aber niemand sagt etwas. Wir wissen nicht, wo wir anfangen sollen. Schließlich erklärt Papa ihr in wenigen Worten, was vorgefallen ist.
    Ich glaube, Mama ist etwas ratlos. Etwa so, als wüsste sie nicht, ob sie lachen oder weinen soll.
    »Ich bin ganz alleine schuld«, sagt Lucía. »Ich möchte Schriftstellerin werden, und deswegen hab ich César überredet …«
    »Ich bin auch nicht unschuldig«, sage ich.
    Papa bringt mich mit einer Handbewegung zum Schweigen.
    »Aber … warum habt ihr mir das denn nicht früher gesagt?«, fragt er. »Ich hätte euch …«
    Es klingelt. Das muss Javier sein.
    Mama steht auf, um die Tür aufzumachen. Kurz darauf kommt sie mit meinem Bruder zurück.
    »Bist du immer noch hier?«, fragt er, als er Lucía sieht. »Ist was passiert?«
    Er setzt sich zu uns.
    »Gibt es einen bestimmten Grund für dieses Familientreffen?«, fragt er so locker wie möglich.
    Papa erhebt sich und ergreift das Wort:
    »Wie es aussieht, mein Junge, drucken diese beiden Herrschaften schon seit Wochen heimlich die Seiten des Unsichtbaren Buches aus.«
    Javier sieht mich an. Sein Blick sagt mir: Ich hab’s ja gewusst, und ich hab dich gewarnt!
    »Hast du die Seiten verkauft?«, fragt er mich.
    »Was?«, schreit mein Vater. An diese Möglichkeit hat er noch gar nicht gedacht. »Das will ich doch wohl nicht hoffen … oder?«
    »Außer uns hat sie niemand gelesen«, empört sich Lucía. »So etwas würden wir nie machen!«
    »Papa, ich schwöre dir, wir wollten nur die Geschichte lesen, sonst nichts«, versichere ich.
    »Komisch«, sagt Javier, »du hast dich doch sonst nie für Papas Geschichten interessiert! Das ist bestimmt die erste, die du freiwillig liest.«
    »Damit du’s weißt, sie hat ihm sehr gefallen«, verteidigt mich Lucía. »Ihm gefällt alles, was sein Vater schreibt.«
    »Wirklich?«, fragt Papa.
    »Na ja, also … Das unsichtbare Buch gefällt mir tatsächlich … Ich finde es spannend, und ich würde gerne wissen, wie es ausgeht.«
    Papa sieht mich erstaunt an. Das hätte er nicht von mir erwartet.
    »Ich glaube, es wird langsam Zeit für dich, Lucía«, sagt Mama in diesem Moment. »Bei dir zu Hause macht man sich
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