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Das unsichtbare Buch

Das unsichtbare Buch

Titel: Das unsichtbare Buch
Autoren: Santiago García-Clairac
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denke?«
    »Ich bin Schriftstellerin, und wir Schriftsteller kennen uns mit Menschen aus.«
    »Ach ja?«
    »Ja!«
    Dazu fällt mir nichts mehr ein. Schlimmer hätte es gar nicht kommen können. Noch ein Schriftsteller!
    »Damit du’s weißt«, sage ich schließlich, »mein Vater, der ist Schriftsteller und veröffentlicht Bücher. Nicht so wie du! Von dir ist noch nie was veröffentlicht worden!«
    »Und was schreibt dein Vater? Wie heißt er? Schreibt er gerade was? Für welchen Verlag? Wie viele Bücher …?«
    »Sei still!«, zische ich sie an. »Siehst du nicht, dass der Lehrer schon zu uns rüberschaut?«
    Sie blitzt mich böse an, sagt aber nichts mehr.
    Der heutige Schultag war einer der schlimmsten in meinem Leben. Ich glaube, morgen werde ich versuchen, mich woanders hinzusetzen, denn diese Lucía … Nein, die ertrage ich einfach nicht. Was geht sie es an, was mein Vater schreibt? Glaubt sie vielleicht, er erzählt mir, was er gerade macht?
    Vor der Schule wartet mein Bruder auf mich. Wir gehen zusammen nach Hause.
    »Was hast du da auf der Wange?«, frage ich ihn und mustere die Kratzer in seinem Gesicht.
    »Hab mich geprügelt«, antwortet er.
    »Bist du okay?«
    »Ja … glaub schon«, sagt er. »Und, wie war’s bei dir?«
    »Das Mädchen, das neben mir sitzt, ist blöd«, erzähle ich. »Sie ist die hässlichste und dümmste Kuh, die ich je gesehen habe. Wenn du die siehst, kriegst du echt einen Schreck.«
    Davon, dass mich ein paar Jungen geärgert haben, erzähle ich ihm lieber nichts. Die ganze Zeit haben sie mich mit Papierkügelchen beschossen. Das wird noch Ärger geben, glaub ich, auch wenn ich versucht habe, mir nichts anmerken zu lassen.
    Zu Hause angekommen, setzen wir uns an unsere Hausaufgaben. Später kommt mein Vater, und wir essen zu Abend.
    »Wie war euer erster Tag in der neuen Schule?«, erkundigt er sich, kaum dass wir am Tisch sitzen.
    Ich antworte nicht, sehe ihn nur an.
    »Ich hab mich mit einem aus der Klasse geprügelt. Er hat ›Neuling‹ zu mir gesagt«, berichtet Javier. »Aber ich hab’s ihm gegeben …«
    »Javier! Wie oft hab ich dir schon gesagt, dass du dich nicht mit deinen Klassenkameraden prügeln sollst!«, schimpft Mama mit ihm. »Wenn du so weitermachst, wirst du nie Freunde finden.«
    »Wir werden sowieso nie Freunde finden«, bemerke ich.
    »Ich hab mit einer neuen Geschichte begonnen«, sagt Papa, um das Thema zu wechseln.
    »Wie schön!«, ruft Mama, ebenfalls um bessere Stimmung bemüht.
    »Und für uns hat ein neues Schuljahr begonnen«, sage ich und löffle meine Suppe.
    »Worum geht es in deinem neuen Buch?«, fragt mein Bruder Javier.
    »Es heißt Das unsichtbare Buch … Ich bin sehr zufrieden. Mehr kann ich euch noch nicht erzählen, ich fange ja gerade erst an.«
    » Das unsichtbare Buch …?«, wiederholt mein Bruder erstaunt.
    »Genau«, sagt mein Vater. »Es geht darin um ein Buch, das nicht jeder sehen kann und …«
    »He! Sagst du nicht immer, dass es Unglück bringt, wenn man von den Geschichten erzählt, die man gerade schreibt?«, unterbricht ihn meine Mutter.
    »Mama!«, stöhnt Javier.
    »Sie hat recht«, sagt mein Vater. »Mehr verrate ich euch nicht. Ihr müsst warten, bis das Buch fertig ist.«
    Ich sage nichts dazu. Die Geschichten meines Vaters sind mir egal. Seine Bücher sind schuld daran, dass wir unser Leben lang von Stadt zu Stadt ziehen, von Wohnung zu Wohnung … Und jetzt muss ich zu allem Übel auch noch diese Lucía ertragen!
    »Also, ich werde mich wieder ans Schreiben machen«, sagt mein Vater, als wir zu Ende gegessen haben. »Gute Nacht alle zusammen.«
    Er hat die Angewohnheit, auch nachts zu arbeiten. Tagsüber schreibt er mit der Hand in ein Heft, und nachts tippt er es dann in seinen Computer. Er schreibt also zweimal dasselbe! Ich sag’s doch, Schriftsteller sind ziemlich verrückt.
    »Bis morgen, Papa!«, ruft Javier ihm hinterher.
    »Viel Glück in der Schule«, wünscht uns Papa, und weg ist er.
    Wir bleiben noch ein wenig auf und sehen fern. Heute Abend kommt ein Abenteuerfilm, und Mama hat uns erlaubt, ihn zu sehen.

2
    M eine Laune wird jeden Tag schlechter. Die neue Schule gefällt mir nicht, und es stinkt mir, dass ich auch noch Lucía ertragen muss.
    »Was hast du?«, fragt sie mich, sobald ich mich neben sie gesetzt habe. »Bist du sauer?«
    Das fragt sie mich jeden Morgen. Manchmal glaube ich, sie macht das extra, nur um mich zu ärgern.
    »Quatsch, ich hab nichts«, erwidere ich so abweisend wie
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