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Das unsichtbare Buch

Das unsichtbare Buch

Titel: Das unsichtbare Buch
Autoren: Santiago García-Clairac
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unsichtbaren unterscheiden kannst. Weil du nicht kapierst, welche es wirklich gibt und welche nicht«, versucht er mir zu erklären.
    »Hör mal, du kleine Rotznase, ich weiß ganz genau, was der Unterschied ist zwischen …«
    »Nein, weißt du eben nicht! Du bist sauer auf Papa, weil wir ständig umziehen müssen. Das ist das Einzige, was du siehst.«
    »Und? Stimmt das etwa nicht? Schleppt er uns etwa nicht von einer Stadt in die andere, als wenn …«
    »Aber du kapierst nicht, dass er das braucht, um seine Geschichten zu schreiben!«
    Ich bleibe stehen und sehe meinen Bruder an. Ich bin so überrascht, dass ich nicht mal sauer werde.
    »Ich sag das nicht, um dich zu ärgern«, erklärt Javier, indem er die Hand hebtund das Friedenszeichen macht, wie die Indianer im Film.
    Ich quäle mir ein Lächeln ab, damit er sieht, dass ich Kritik durchaus vertragen kann. Aber so richtig gelingt mir das wohl nicht, denn er dreht sich plötzlich um und läuft davon. Lässt mich einfach mitten auf der Straße stehen!
    Das ist für mich schlimmer als eine kalte Dusche. Schlimmer als die kalte Dusche nach dem Sportunterricht.
    Zu Hause angekommen, gebe ich Mama einen Kuss.
    »Hallo, César!«, begrüßt sie mich liebevoll. »Wie war es heute bei dir?«
    »Gut«, sage ich nicht gerade begeistert. »Und Papa?«
    »Er müsste gleich hier sein. Er war den ganzen Tag unterwegs, für seinen Roman … Hoffentlich hat’s was gebracht.«
    Das Telefon klingelt. Javier, der schon länger zu Hause ist als ich, rennt hin und kommt uns zuvor.
    »César! Für dich!«, schreit er aus dem Flur herüber. »Ein Mädchen!«
    »Ein Mädchen?«, frage ich überrascht und sehe meine Mutter an. »Für mich? Bist du sicher?«
    Javier knallt den Hörer auf das Tischchen und verschwindet.
    »Hallo?«, frage ich schüchtern in den schwarzen Apparat.
    »Ich bin’s … Lucía«, meldet sich eine laute, fröhliche Stimme.
    »Lucía? Was für eine Lucía?«, wundere ich mich.
    »Wie viele Lucías kennst du denn, hm?«
    »Die aus der Schule?«, frage ich, obwohl ich die Antwort bereits kenne.
    »Wenn du weiter vorhast, mich wie eine dumme Kuh zu behandeln, leg ich sofort auf … Verstanden?«
    »Wer hat dir unsere Telefonnummer gegeben?«, frage ich, um das Thema zu wechseln.
    »Die Auskunft, du Dummkopf! Ihr wohnt ja erst seit Kurzem in der Stadt, deshalb steht ihr noch nicht im Telefonbuch. Also hab ich die Auskunft angerufen, und die hat mir die Nummer gegeben«, erklärt sie mir. »So schwer war das nun auch wieder nicht.«
    »Aber du weißt doch gar nicht, auf welchen Namen der Anschluss eingetragen ist«, sage ich. Ich bin wirklich neugierig, wie sie das herausbekommen hat.
    »Ich hab den Namen deines Vaters angegeben«, sagt sie, als wär’s das Natürlichste der Welt.
    »Und woher weißt du, wie mein Vater heißt?«
    »Sein Name stand auf der ersten Seite des Romans. César Durango. So heißt er doch, oder?«
    Heute ist einfach nicht mein Tag. Ständig stehe ich als Dummkopf da. Besser, ich stelle keine weiteren Fragen mehr.
    »Hat dir das Buch gefallen?«, fragt Lucía, als ich nichts mehr sage.
    »Meinst du Das unsichtbare Buch ?«
    Wieder so eine saublöde Frage!
    Lucía gibt keine Antwort. Offenbar ist sie nicht mehr bereit, auf blöde Fragen zu antworten.
    »Ja … Ich glaube, ja«, sage ich schließlich. »Nicht schlecht.«
    »Nicht schlecht?«, schreit sie empört. »Du hältst es also für nicht schlecht ?«
    Ich glaube, ich hab schon wieder was falsch gemacht.
    »Na ja, ich meine …«
    »Wie kannst du so etwas von einer Geschichte sagen, die so … so … so … fantastisch ist?!«
    »Jetzt übertreib mal nicht«, verteidige ich mich.
    »Sag mal, hast du eigentlich schon viele Bücher in deinem Leben gelesen?«, fragt Lucía plötzlich.
    »W… was?«, stottere ich. Diese Frage habe ich wirklich nicht erwartet. »Klar, ganz viele! Alle, die wir in der Schule lesen mussten.«
    »Bist du sicher, dass du sie ganz gelesen hast? Und gerne?«
    »Tja, also … ja … fast alle … praktisch alle …«
    »Ich hab das Gefühl, dass du nicht besonders gerne liest«, sagt sie in tadelndem Ton. »Meinst du …«
    »Entschuldige, aber ich muss jetzt auflegen … Wir essen gleich zu Abend, okay?«
    »Gut, aber du musst mir noch mehr Seiten besorgen«, verlangt sie.
    »Mehr Seiten?«
    »Ja, von dem Unsichtbaren Buch ! Oder soll ich etwa nur den Anfang lesen?«
    »Wir sehen uns morgen in der Schule. Adiós!«
    Dieses Mädchen ist ein Orkan, ein
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