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Das unsichtbare Buch

Das unsichtbare Buch

Titel: Das unsichtbare Buch
Autoren: Santiago García-Clairac
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… Lucía!
    »Wenn hier einer ein Feigling ist, dann bist du das!«, schreit sie ihn an.
    Lorenzo und seine Freunde weichen einen Schritt zurück.
    »Was mischst du dich in Sachen ein, die dich nichts angehen?«, brüllt Lorenzo.
    »Weil mir danach ist!«, ruft sie, ohne sich einschüchtern zu lassen.
    »Wir sind mehr als ihr«, stellt einer der drei Jungen fest. »Wir können euch …«
    Weiter kommt er nicht. Lucía versetzt ihm einen Stoß gegen die Brust, der ihn beinahe zu Boden wirft.

    Ich baue mich neben ihr auf und nehme die Fäuste hoch. Wie ein Boxer. Ich weiß, dass das ziemlich sinnlos ist, ich kann nämlich überhaupt nicht boxen. Aber etwas anderes fällt mir nicht ein.
    »Gehen wir«, fordert Lorenzo seine Freunde auf. »Den nehmen wir uns ein andermal vor.«
    »Verlass dich drauf«, fügt der eine hinzu, der von Lucía fast umgestoßen worden ist, »wir werden dir die Petzerei schon noch abgewöhnen!«
    Es klingelt, die Pause ist zu Ende. Alle gehen wieder in ihre Klassen zurück.
    »Danke, Lucía«, sage ich, als wir nebeneinander die Treppe hinaufgehen. »Das war sehr mutig von dir. Wenn du nicht gewesen wärst …«
    »Lorenzo ist ein Feigling, der sich nur dann stark fühlt, wenn seine Freunde dabei sind«, antwortet sie und schenkt mir ein Lächeln.
    »Hör mal«, setze ich zögernd hinzu, »ich … ich wollte nicht gemein zu dir sein. Aber … du machst mich irgendwie aggressiv.«
    »Ja, ich weiß … Ich mache alle Leute aggressiv. Ich glaub, ich bin wirklich etwas nervig«, sagt sie leise und sieht zu Boden.
    »Und du fragst immer so viel …«
    »Ja, ja, ich weiß … entschuldige«, erwidert sie. »Ich hätte dich mit dem Buch deines Vaters nicht so löchern sollen.«
    Wir gehen in unsere Klasse. Der Lehrer wirft mir einen tadelnden Blick zu, der mich nervös macht. Ich glaube, er hat mir noch nicht verziehen. Es ist also besser, vorsichtig zu sein.
    Der Unterricht beginnt, und niemand ärgert mich. Lorenzo beschießt mich nicht mehr mit Papierkügelchen. Seine Freunde sehen mich nicht mal an. Außerdem hat Lucía wohl beschlossen, sich zusammenzureißen und mich nicht mehr mit ihren Fragen zu löchern.
    Ich muss zugeben, dass Lucía ein mutiges Mädchen ist. Wenn sie sich in der Pause nicht eingemischt hätte, weiß ich nicht, was passiert wäre. Sie hat sich wirklich super verhalten … Wenn sie nur nicht so nervig wäre …
    »Schluss für heute!«, verkündet der Lehrer. »Bis morgen!«
    »Ich lauf dann mal los«, sagt Lucía zu mir. »Ich hab’s eilig.«
    Ich halte sie am Arm zurück und raune ihr zu:
    » Das unsichtbare Buch .«
    »Was?«, fragt sie verständnislos.
    »Der Roman meines Vaters«, erkläre ich. »Er heißt Das unsichtbare Buch .«
    Überrascht sieht sie mich an.
    » Das unsichtbare Buch !«, ruft sie. »Was für ein Titel!«
    »Danke noch mal«, sage ich und lasse ihren Arm los.
    Lucía eilt davon, und ich halte nach meinem Bruder Javier Ausschau.
    Das Abendessen zu Hause verläuft ruhig. Danach steht mein Vater vom Tisch auf und geht in sein Arbeitszimmer, um an seinem Roman weiterzuschreiben, während wir noch ein wenig fernsehen.
    Der Film ist zu Ende. Bevor ich mich schlafen lege, gehe ich ins Badezimmer und putze mir die Zähne.
    Als ich herauskomme, sehe ich, dass die Tür zu Papas Arbeitszimmer einen Spalt breit offen steht … Ich schleiche auf Zehenspitzen näher und spähe hinein.
    Im Zimmer herrscht Halbdunkel. Auf dem Schreibtisch steht eine kleine Lampe,die das Heft und die Tastatur erhellt. Mein Vater sitzt vor dem eingeschalteten Bildschirm und tippt unaufhörlich. Rechts neben ihm surrt leise der Drucker … und spuckt Blätter aus, die sich sanft auf die Ablage legen.

3
    H eute hat Lucía noch fast gar nicht mit mir geredet. Komisch. Hoffentlich ist sie nicht sauer auf mich.
    »Hast du was?«, frage ich sie.
    »Nein, heute ist nur nicht mein Tag.«
    »Ist es vielleicht wegen mir …?«, bohre ich weiter.
    »Lass mich in Ruhe! Ich hab keine Lust zu reden. Mit niemandem! Außerdem will ich dir nicht mehr auf die Nerven gehen.«
    Meine Mutter sagt, dass man wissen muss, wann man schweigen soll. Ich werde also den Mund halten. Ehrlich, ich werde es versuchen.
    »Wenn du willst, lade ich dich nach der Schule in die Eisdiele ein«, schlage ich ihr nach einer Weile vor.
    »Ich kann nicht, ich muss gleich den Bus nehmen«, sagt sie ziemlich gleichgültig.
    »Du könntest doch deine Mutter anrufen und ihr sagen, dass du später kommst. Und hinterher bring ich
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