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Das unheimliche Haus

Das unheimliche Haus

Titel: Das unheimliche Haus
Autoren: Alfred Weidenmann
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kompliziertesten Druckverfahren wie in seiner eigenen Hosentasche auskannte. Schließlich spielte er im »Orchester« mehr und mehr die »erste Geige«.
    Kein Wunder, daß ihn der »Mandarin« nicht im Stich ließ. Und sein langer Arm reichte selbst durch die Gefängnismauern und bis in seine Zelle. Das bekam er bereits in der Untersuchungshaft durch alle nur möglichen und erlaubten Erleichterungen zu spüren, angefangen beim täglichen Mittagstisch aus einem piekfeinen Speiselokal um die Ecke, Fernsehapparat, Zigaretten, bis zu seinem Lieblingshaarwasser und zu seiner Lieblingszahnpasta. Vor Gericht verteidigte ihn ein enorm gewiefter, hundsteurer Star-Rechtsanwalt, der eines Tages wie aus dem Zylinder herausgezaubert seinen Fall übernommen hatte. Er fuhr bei der Verhandlung mit dem Staatsanwalt derartig Schlitten, bis für Hugo Stielicke bei der Urteilsverkündung nur die Mindeststrafe herausspringen konnte.
    Wie sein eigener Schatten war der »Mandarin« immer bei ihm gewesen — hilfreich, unsichtbar und ein wenig geheimnisvoll.
    Als der Häftling Stielicke dann endlich wieder aus dem Knast entlassen wurde, wartete im Schneetreiben ein Taxi am Gefängnistor auf ihn. Der Chauffeur hatte stillschweigend die Tür geöffnet und ihn zur Pension Flora in der Clausewitzstraße gebracht. Auch während der Fahrt hat der Mann kein Wort gesprochen. Ein Zimmer war für Hugo reserviert, und die Pensionsbesitzerin hatte ihn begrüßt wie einen alten Stammgast. »Willkommen, Herr Stielicke. Ich bin Frau Schiemann. Sagen Sie Bescheid, wenn ich irgend etwas für Sie tun kann.« Nur eine Stunde später hatte sie ihn in den Flur ans Telefon gerufen. Selbstverständlich hatte er die verrauchte Stimme am anderen Ende der Leitung sofort erkannt. »Jetzt erhole dich zuerst einmal gründlich, das ist im Augenblick am wichtigsten«, hatte der »Mandarin« vorgeschlagen. »Ich würde viel Spazierengehen, in die Bäume gucken und die Seele in den Wind hängen und auslüften. Für Geld ist gesorgt. An jedem Ersten und Fünfzehnten erwartet dich Max Grabowski in seiner Kneipe am Stuttgarter Platz. Sie heißt Zum Krokodil, und Max hat dann immer einen Umschlag mit genügend Piepen für dich. Der Grabowski hat früher geboxt. Aber da würdest du auch selbst draufkommen, wenn du sein Gesicht siehst.«
    »Wie lange soll ich hier bleiben?« wagte Stielicke zu fragen.
    »Zuerst einmal ein halbes Jahr«, hatte die Stimme geantwortet. »Solange mußt du dich doch wöchentlich bei deinem Polizeirevier melden. Es ist wichtig, daß es da keinen Ärger gibt. Ich würde an deiner Stelle bei den Herrschaften immer pünktlich antanzen. Über die ganze Geschichte muß jetzt Gras wachsen, je mehr Gras, um so besser. Und jetzt entschuldige mich, ich bin in Eile. Du hörst wieder von mir, ciao compagno!« Gleich darauf hatte es im Telefonhörer geklickt und anschließend gleichmäßig getutet. Heute war wieder einmal ein Fünfzehnter.
    Als Hugo Stielicke ins Krokodil kam, stand Grabowski beim Gläserspülen hinter der Theke. Ein italienischer Kellner schleppte Getränkekisten aus dem Keller zu den Kühlschränken beim Ausschank und wieder zurück. Dicht neben dem Eingang gab es eine Art Schaufensterscheibe mit Blick auf den Stuttgarter Platz. Davor saßen zwei Männer beim Bier und spielten Karten. Das Krokodil war eine Kneipe wie ein paar hundert andere in Berlin.
    »Tag«, sagte Max Grabowski, ohne seine Arbeit mit den Gläsern zu unterbrechen. Seine Nase war breitgeschlagen, und links hatte er ein Blumenkohlohr.
    »Tag«, sagte auch Hugo Stielicke, setzte sich an einen der leeren Tische und bestellte Erbsensuppe mit Würstchen und ein Glas Sprudel.
    Der Wirt und sein Besucher verheimlichten ihre Bekanntschaft vor Dritten. »Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste«, hatte Grabowski bereits bei ihrem ersten Gespräch gesagt. »Wenn wir nicht allein sind, kennen wir uns nicht mal bei Namen.«
    Als der italienische Kellner die Erbsensuppe servierte, gab der ehemalige Boxer über die Theke hinweg mit einem kurzen Blick das Zeichen.
    Stielicke signalisierte gleichfalls mit den Augen unauffällig, daß er verstanden hatte. Kurz darauf legte er den Löffel zur Seite, stand auf und ging an der kleinen Küche vorbei durch einen schmalen, schlecht beleuchteten Flur zur Toilette.
    Wie üblich, lag der Umschlag mit dem Geld oben auf dem viereckigen Sammelkasten der Wasserspülung dicht unter der Decke. Trotz seiner Größe mußte sich Stielicke auf die Fußspitzen
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