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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
Autoren: Lenka Reinerová
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er.
    Seine Mitmenschen pflegte er freilich ganz unbekümmert nach ihren persönlichsten Angelegenheiten auszufragen. Aber mit der Tonka Sibenice, wie die Galgentoni tschechisch heißt und wie sie, als ihr Vorbild in Wirklichkeit diesen Namen trug, von Kolleginnen, Kunden und Polizeibeamten auch genannt wurde, mit der hat es doch eine andere Bewandtnis.
    »Deine Galgentoni, die bereit war, einem Mordsbuben seinen letzten Wunsch zu erfüllen und seine letzte Nacht mit ihm zu verbringen, hast du doch zur Belohnung für diese Tat in einem himmlischen Puff versetzt, Egonek. Hast du sie dort schon besucht oder sogar einmal in die Gesellschaft im Traumcafé mitgenommen?«
    »Glaubst du, es würde ihr hier unter unseren Literaturveteranen Spaß machen? Die ist an anderes gewöhnt.Und so bleibt sie auch, wo ich sie untergebracht habe, und wenn ich mit der Xenia Longen, die sie als erste auf der Bühne gespielt hat, bei ihr vorbeikomme, freut sie sich sehr. Auch in deinem Traumcafé muß es so etwas wie Ordnung geben, obwohl du uns hier ganz schön zusammengewürfelt hast.«
    »Ist doch mein gutes Recht. Ohne mein Phantasieren würde euer Kaffeehaus flötengehen, du hättest längst keinen Stammtisch mehr und auch keinen Prager Himmel um dich.«
    »Stimmt«, sagt der Kisch nachdenklich und winkt mir von oben zu. »Hast doch etwas von der Melantrichgasse mitbekommen.«
    Meine Mutter bringe ich auch gern im Traumcafé unter. Allerdings als das schöne junge Mädchen, das ich von einem Foto kannte, welches in den Turbulenzen der Zeit leider auch verlorengegangen ist. Hochgewachsen und schlank war sie darauf, in einem langen weißen Kleid, umgürtet mit einer breiten dunklen Schärpe, die leicht gewellten blonden Haare im Nacken mit einem dunklen Band, wohl von der gleichen Farbe wie die Schärpe, fest zusammengehalten. Ihr Blick auf dieser Aufnahme war ein wenig versonnen, aber durchaus lebensbejahend. Wenn man sie genauer betrachtete, konnte man verstehen, daß der Prager Maler und Porträtist Emil Orlík und Wolfgang, der älteste der Kischbrüder, der im ersten Weltkrieg gefallen ist, mit ihr befreundet waren. Ich bin ziemlich sicher, daß sie, in ihre damalige Gestalt verjüngt, bereitwillig von der ätherischen Kaffeerunde aufgenommen wurde und mich gemeinsam mit den anderen Gästen aus weitester Ferne ein bißchen schützend, aber auch ein bißchen besorgt mahnend betrachtet.
    Und so blicke ich manchmal aus meinem Stadtfenster in den grau verrauchten Himmel und beruhige sie:
    »Du muß dich, weiß Gott, nicht mehr um mich sorgen, Mutter, habe ich doch inzwischen ein Alter erreicht, das dir bei weitem nicht vergönnt war. Was ich tue oder unterlasse, kann niemand mehr dir in die unsichtbaren Schuhe schieben. Das geht schon lange alles auf meine eigene Kappe. Laß dir von Duschko, der mein Mann war, und von Egonek, meinem väterlichen Freund (bist du ihm nie im Kischhaus begegnet?), erzählen, wie sie mitunter versucht haben, mich in ihre gewohnte und mir nur in gewissem Maße zusagende Lebensweise einzubeziehen und was dabei herausgekommen ist und was nicht.«
    »Lenulein«, sagtest du einmal zu mir, »ein harter Kopf ist manchmal gut, aber viel öfter beschwerlich.« Ich hielt das damals für eine der unsinnigen Redensarten, wie sie die Erwachsenen gegenüber jüngeren Menschen so gern von sich geben. Seither habe ich freilich meine eigenen Erfahrungen gemacht.
    Während des letzten Weltkrieges habe ich in einem Pariser Gefängnis und rund zehn Jahre später zu meinem Entsetzen in einem Prager »sozialistischen« insgesamt gut ein Jahr in Einzelhaft verlebt. Auch da habe ich hartnäckig mein Träumen nicht aufgegeben, so schwierig es auch war, nicht in Alpträumen abzugleiten.
    Das Traumcafé funktionierte unter jenen katastrophalen Umständen nicht. Ich konnte die Hilfe seiner Stammgäste nicht anrufen, es kam mir auch gar nicht in den Sinn. Vielleicht hat damals ein gütiger Geist zwischen die Erde und den sogenannten Himmel einen undurchlässigen Vorhang (nein, keineswegs eine Mauer!) gezogen, damit die Untaten, die hier in den fünfziger Jahrenso verheerend um sich griffen, nicht auch noch die Gefilde des Träumens erfaßten.
    In jener Zeit hing der Himmel nicht voller Geigen, und hätte es sie gegeben, sie wären falsch gestimmt gewesen. Das aber hätte manch einer der Kaffeehausgäste wohl nur schlecht vertragen. Ich denke da z. B. an Max Brod, den kleinen Mann mit dem leicht gekrümmten Rücken und den tiefschwarzen
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