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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
Autoren: Lenka Reinerová
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Gespräch aufnehmen.
    »Haben Sie schon bemerkt, Herr Kafka, daß man in Prag jetzt Ansichtskarten mit Ihrem Abbild verkauft?«
    »Wirklich?« Ein dünnes Lächeln erscheint auf dem blassen Gesicht. »Aber doch auch mit den Herren Rilke, Werfel und anderen?«
    »Gewiß, aber der Schlager, verzeihen Sie, der Schlager sind eben Sie. Das ist nicht zu übersehen. Übrigens, wie gefällt Ihnen der Altstädter Ring in seiner neuen Aufmachung, so ein bißchen als Jahrmarkt und Rummelplatz mit elektronisch dröhnender Musik und einem weiß-goldenen Bummelzüglein?«
    »Nun«, kommt zögernd und nachsichtig beschwichtigend die Antwort, »die Gebäude sind ja recht gut instand gesetzt. Zumindest was man so von hier aus sehen kann. Wie sie innen beschaffen sind, entzieht sich freilich meiner Kenntnis.«
    Wurden seine Augen dabei noch um einen Schatten dunkler? Oder bilde ich mir das bloß ein? Er langt nach einem Glas mit kristallklarer Flüssigkeit (Wasser im Himmel? Wo bleibt der Wein?), nimmt einen ordentlichen Schluck, sieht gleich fröhlicher aus, und so wage ich noch eine weitere Mitteilung:
    »In letzter Zeit sind Sie zu einer Art Wahrzeichen von Prag geworden, Herr Kafka. Nein wirklich, das springt einem in die Augen. Macht es Ihnen Spaß, daß Sie nun von jungen Mädchen aus Italien und Spanien, Deutschland und Amerika sozusagen auf dem Herzen getragen werden? Haben Sie gesehen, wie Ihr Porträt auf weißen und seegrünen, himbeerfarbenen und azurblauen T-Shirts auf touristischen Busen wippt? Aber selbst das genügt Ihren Verehrerinnen und Verehrern an der Schwelle des 21. Jahrhunderts nicht. Aus Ihrer Stirn, hinter der Sieso viele Fragen quälten, aus Ihrem oft so schmerzenden Kopf wächst, mit Verlaub, auch noch die Silhouette des Hradschin. Die Burg, zum Glück nicht auch noch das Goldene Gäßchen, in dem Sie ja ein bißchen zu Hause waren.«
    Keine Antwort.
    Zu meinem Bedauern und leichter Bestürzung hat sich mein erdachtes Zwiegespräch inzwischen in einen Monolog verwandelt. Im Traumcafé ist es still geworden. Man hört mir zu, Franz Kafka schweigt. Man sieht ihm allerdings an, daß er interessiert lauscht. Seine Ohren an dem kurz geschorenen Kopf haben sich leicht rot verfärbt.
    »Entschuldigen Sie«, sage ich, nun lieber zum Schluß kommend, »daß ich von so banalen Dingen rede, die Ihnen im übrigen wohl schon längst bekannt sind, die Aussicht von oben ist ja trotz aller sündhaften luftverpestenden Verstöße hier unten, immer noch ungewöhnlich klar. Sie werden jedoch gewiß verstehen, daß einem der in Prag so lange ungewohnte Trubel manchmal ein bißchen über dem Kopf zusammenschlägt. Aber andererseits: eigentlich ist es doch schön, wenn junge Menschen neben Ihren Büchern auch noch ein Lieblingstrikot mit Ihrem Konterfei mit nach Hause nehmen, oder?«
    Abermals keine Antwort.
    »Die Kaffeehäuser sind aus Prag – so wie Sie sie kannten und wie auch wir sie noch kannten – beinahe ganz verschwunden, aber Kafka ist hier neu eingezogen«, sagte mir unlängst ein Besucher aus Frankreich, »was übrigens nicht sonderlich erstaunlich ist in dieser magischen Stadt.«
    »Erstaunlich und schwer erklärbar.«
    Ich stutzte. Diese warme Stimme mit dem leicht slawisch klingenden Akzent habe ich vor nicht allzu langer Zeit noch hier unten, in unser aller Prag, vernommen. Am Telefon, in einem Vortragssaal, an einem gemeinsamen Mittags- oder Abendtisch.
    »Manchmal würde sich Franz Kafka allerdings nichtwenig wundern, wie man ihn entweder wegzudenken oder gar zu interpretieren wagte.«
    Und schon weiß ich, wem ich lausche, und würde diesem neuen Besucher meines Traumcafés wahrlich viel lieber noch im irdischen Café Louvre oder in seinem Wohnsitz auf der Prager Barrandovhöhe zuhören.
    »Edo«, rufe ich, denn der Neuankömmling ist niemand anderer als der Prager Unruhegeist und Germanist, Diplomat und Widerstandskämpfer, Häftling, Präsident des tschechoslowakischen Schriftstellerverbands, Exulant und Prorektor der Karlsuniversität, Ehrenvorsitzender der tschechischen Goethe-Gesellschaft (wie konnte bloß in einem Leben so viel Widersprüchliches, Gutes und Schlimmes enthalten sein?), Professor Eduard Goldstücker. »Edo«, wiederhole ich, »haben dich die Alteingesessenen auch gebührlich willkommen geheißen?«
    »Und ob«, in den dunklen Augen blitzt es fröhlich auf. »Die Begrüßung hier war spontan und herzlich. Kafka ist aufgesprungen und mir entgegengeeilt. Werfel hat mir seinen angestammten
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