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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
Autoren: Lenka Reinerová
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Halsbänder aus phantasievoll kombinierten Glaskorallen. Am liebsten möchte man all die Deckchen mit Fabeltieren und sonderbaren Mustern kaufen, die nichts oder vielleicht gerade das Wesentliche mit den Kunstwerken im Anthropologischen Museum gemein haben – den Schönheitssinn der Indios, ihr Gefühl für Form und Farbe, das ihnen von ihren Vorfahren vererbt wurde. Die haben ihnen auch das Wissen über geheime Kräfte in der Natur überliefert. Ich empfand es nahezu als symbolisch, daß ich gerade hier mein ungewöhnliches Wiedersehen, meine zweite Landung in Mexiko beschließen konnte. Denn hier war kaum etwas anders.
    Im Flugzeug auf dem Heimweg hatte ich reichlich Zeit, ein bißchen Ordnung in meinem Kopf zu machen, aus meiner mexikanischen Verträumtheit ein Körnchen Weisheit herauszuschälen, wie es in den jüdischen Witzen enthalten zu sein pflegt, die man einander in Prag ungeachtet des jeweiligen Regimes erzählt. Sicherlich ist es immer ein großartiges Erlebnis, an einen Ort wiederzukehren, wo man jung gewesen ist. Aber im Mexiko der frühen vierziger Jahre war ich nicht nur jung, ichwar dort auch schon alt an überstandener Gefahr, an bösen Erfahrungen, an grausigen Verlusten. Und obwohl ich damals nur mit einem lächerlichen, in der Medina von Casablanca erstandenen, mit bunt geblümten Papier ausgeschlagenen Matrosenköfferchen in der Hand angekommen war, war ich zugleich auch schon reich: an schlimmen und an guten Erfahrungen, an alten und neuen Freunden, an der Möglichkeit, neu zu beginnen, weiterleben zu können. Mag sein, daß mich gerade deshalb dieses Wiedersehen so tief berührt hat. Denn es war ja Mexiko, wo ich in den schrecklichen Kriegsjahren gebangt und gehofft hatte, es war dieses schöne und eigenwillige Land, das ich zu begreifen versuchte, in dem ich schreiben gelernt und geheiratet habe, mich nach Europa sehnte und vor der Rückkehr in seine Verwüstung zitterte – all das war für mich auf einmal wieder da.
    Von den Menschen, die ich hier nicht mehr finden konnte, haben etliche nach ihrer so lange erhofften Heimkehr in ihr befreites Vaterland abermals das trostlose Brot von Gefangenen essen müssen. In dem Land, in dem sie auf die Welt gekommen sind, dessen Bürger sie waren und für dessen Auferstehung sie aus freiem Willen alles, auch ihr Leben, eingesetzt haben. Einem von ihnen wurde sein Leben sogar durch den Henkers geraubt. (Menschen, Menschen sind im Walde! Menschen?)
    Meine Mitreisenden starrten gebannt auf den Bildschirm mit dem Fernsehfilm. Ich schloß die Augen und ließ ganz andere Bilder an mir vorbeiziehen, nicht alle waren traurig, nicht alle waren froh. Hätte mich nun jemand gefragt, wie es denn war, nach so langer Zeit in sein einstiges Asylland zurückgekommen zu sein, ich hätte ihm wohl antworten müssen: Wunderbar war es, aber ganz anders.

Informationen zum Buch
    »Irgendwo in dem schleierhaften blaugrauen Dunst über den von Grünspan bezogenen Kuppeln Prags gibt es ein Café mit vielen Tischchen, und von jedem kann man hinunterblicken in unsere Stadt.« Dort sitzen sie alle, die sie einst kannte, und erinnern sich mit ihr: Egon Erwin Kisch, Max Brod, Theodor Balk, Anna Seghers. In dieser wie in den anderen Erzählungen beschreibt Lenka Reinerová, eine der letzten Zeitzeuginnen der Emigration, Stationen ihres Lebens – das Prag der dreißiger Jahre, das Exil in Frankreich und Mexiko, den Stalinismus in den Fünfzigern und jüngste Erfahrungen. Trotz aller bitteren, furchtbaren Geschehnisse sind es menschen- und lebensfreundliche Erinnerungen, weise und wehmütig.

Informationen zur Autorin
    L ENKA R EINEROVÁ 1916 in Prag geboren. Seit 1936 arbeitete sie als Journalistin für die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung. 1938 floh sie nach Frankreich, wo sie wie viele Emigranten interniert wurde. Über Marokko entkam sie nach Mexiko. Nach Kriegsende kehrte sie mit ihrem Mann, dem Schriftsteller und Arzt Theodor Balk, nach Europa zurück, lebte einige Jahre in Belgrad und seit 1948 wieder in Prag. Anfang der fünfziger Jahre wurde sie ein Opfer der stalinistischen Säuberungen, verbrachte fünfzehn Monate in Untersuchungshaft, wurde danach mit ihrer Familie in die Provinz abgeschoben und erst 1964 rehabilitiert. Nach dem Ende des Prager Frühlings erhielt sie Schreibverbot, wurde aus der Partei ausgeschlossen und verlor ihre Arbeit in einem Verlag. Sie lebt in Prag.
    1999 erhielt sie als erste den Schillerring der Deutschen Schillerstiftung. 2002 wurde sie
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