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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
Autoren: Lenka Reinerová
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feinen Residenzviertel sind nunmehr frei von solchen Schönheitsfehlern. Aus den gepflegten Gärten ergibt sich kein Ausblick auf nachbarliches Elend, nichts stört die harmonische Atmosphäre beim Frühstück, man schnuppert nur die eigenen, wohltuenden Küchendüfte. Die Armen, von denen es ständig erschreckend mehr gibt, leben anderswo und unter sich.
    Ciudad de México liegt 2265 Meter über dem Meeresspiegel. Als ich während des Krieges nach anderthalbjährer Haft im Gefängnis und Internierungslagerhier angekommen war, glaubte ich, ganz gesund zu sein. Mein Herz war jedoch anderer Ansicht und revoltierte nach einiger Zeit gegen den jähen Höhenunterschied (mein letzter Aufenthaltsort war Casablanca am Meer gewesen) und leistete sich einen Kollaps. Der Arzt empfahl mir, ein paar Wochen in etwas geringerer Höhenlage zu verbringen. Die Wahl fiel auf Cuernavaca, einen geruhsamen Erholungsort etwa 1000 Meter tiefer. Ein kleines Paradies. Stille und Blütenduft aus den überquellenden Gärten, nur sehr wenig Verkehr, kein Hasten und Gedränge. Hier konnte man sich fürwahr erholen.
    Auch diesmal hatte ich Gelegenheit, Cuernavaca zu besuchen. In den Straßen kommt man jetzt nur schrittweise vorwärts, Autos und Busse, vornehmlich mit Touristen beladen, hupen ständig und vergeblich. Unentwegt wird man von Straßenhändlern mit Touristenkitsch belästigt. War mein Cuernavaca von damals, mein stilles, im wahrsten Sinne des Wortes herzerquickendes kleines Paradies, inzwischen völlig abhanden gekommen?
    Überfordert von den pausenlos auf mich einstürmenden neuen Eindrücken und der unwillkürlichen, gleichfalls pausenlosen Konfrontation mit meinem einstigen Leben in diesem Land, verließ ich meine Konferenzgruppe nach dem Besuch einer Fotoausstellung von Walter Reuter, der ähnlich wie Theodor Balk im spanischen Bürgerkrieg in den Internationalen Brigaden auf seiten der Republik gekämpft hatte, wodurch er den revolutionären Mexikanern besonders ans Herz gewachsen war. Auf einer seiner Aufnahmen hatte ich nun in seiner Ausstellung ein überraschendes Wiedersehen mit meinem Mann feiern können.
    Draußen umfing mich ein langgestreckter terassenförmig angelegter Garten mit seiner tiefen uralten Stille. Ich stieg über breite Steinstufen, über die vor mir Generationen von Füßen getrappelt waren und ihre Spuren hinterließen. Jetzt aber war ich allein da, nur mit den vielen Blumen und den über ihnen und um sie tanzenden Schmetterlingen. Ich holte tief Atem, war glücklich und ging immer weiter in den Duft und das Grün und die Stille. In der Nähe einer leicht angestoßenen, edel geformten Steinvase zog mich eine blau und rosa gesprenkelte glockenartige Blüte mit ihrem eigenartigen Leuchten an. Ich beugte mich zu ihr nieder und hielt verzückt still, traute mich kaum zu atmen. Am Rande eines der blau-rosa Blütenblätter wippte ein winziges Vögelchen, tauchte sein noch winzigeres Schnäbelchen in die Tiefe des Blumenkelches, flatterte dabei mit seinen winzigen Schwingen. Ein Märchen, das Wirklichkeit geworden war? Wer weiß. Denn es war ein Kolibri, wie ich ihm zum ersten Mal in meinem einst so geliebten Kinderbuch begegnet war, den ich seither in meinen Träumereien bewahrt habe und nun in Wirklichkeit vor mir sah. Wer könnte es mir verargen, daß ich in diesem Augenblick ganz erfüllt war von dem kleinen Wunder vor mir, von der nahezu unbegreiflich zarten Schönheit, die in dem winzigen Wesen verkörpert war. Wir Menschen bringen es leider fertig, unserer gemeinsamen und einzigen Welt zahlreiche Wunden zu schlagen (Menschen, Menschen sind im Walde!). Und dann taucht ein so ganz kleines Geschöpf mit seiner unbekümmerten Lieblichkeit auf, und man glaubt zu verstehen, daß man trotz allem nicht verzagen muß, auch Untaten müssen Grenzen gesetzt werden, und letzten Endes kommt vieles ohnehin ganz anders.
    Kurz vor meiner Rückkehr nach Prag streifte ich noch in Begleitung der jungen Frau, die mich bei meiner Ankunft in Empfang genommen hatte, durch die Plaza Hidalgo; wie der geräumige Zócalo ist auch dieser Platz rechteckig, aber klein und vom geräuschvollen Zentrum weit entfernt. Hier hocken die Indiofrauen noch auf der Erde, bieten Stickereien, Tücher und Schals, auf Eselshäuten gemalte Bildchen, Säckchen mit allerlei Gewürzen und wundersamen, angeblich auch Wunder bewirkenden Pülverchen an – nein, Drogen vom Mafiamarkt gibt es hier nicht –, silberne Ringe, eigenhändig aufgefädelte Arm- und
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