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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
Autoren: Lenka Reinerová
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revolutionären Präsidenten Mexikos General Lázaro Cárdenas. In diesen an Überraschungen so überreichen Tagen konnte mich eine solche Begegnung nicht mehr verwundern.
    Bedrückt, nicht verwundert, hat mich nach meiner Rückkehr nach Prag die Nachricht, daß die Indios, diesich in Chiapas, dem südlichsten Zipfel Mexikos, gegen ihr Elend und unwürdiges Dasein erhoben, neben dem legendären Marcos auch von Cuahtemóc Cárdenas, dem Sohn des einstigen Präsidenten angeführt werden. Ich mußte an die zierliche, schwarz gekleidete Dame im Trotzki-Haus denken, die anscheinend zeitlebens nicht zur Ruhe kommt. Bertolt Brecht und unser Karel Capek haben eine solche Mutter auf der Bühne lebendig werden lassen. Es ist ein ganz sonderbares Gefühl, so einer Frau auf einmal gegenüberzustehen.
    Als die allgemeine Begrüßung zwischen Konferenzteilnehmern und Ehrengästen vorbei war, geleitete man uns in einen kleinen Saal, wo sich schon eine ansehnliche Menschenmenge versammelt hatte. Aus einer Ecke ragte schräg eine dünne Stange, die einem langen Angelgerät ähnelte, in den Raum. Statt eines glitzernden Fadens hing eine Schnur von ihm herab, die in einer Art großen Teekannenwärmers aus rotem Tuch endete. Verwundert betrachtete ich diese merkwürdige Einrichtung. Da ergriff aber schon jemand das Wort, pries Bosques und seine verdienstvolle Tätigkeit im Kriegs-Marseille, die ihm und seinen Mitarbeitern auch eine Internierung in Deutschland eingebracht hatte. Als er zum Schluß kam, setzte sich die schräge Schnur sachte in Bewegung, die rote Tuchglocke schwebte langsam in die Höhe und enthüllte damit die Bronzebüste des Generalkonsuls. Erstaunt verfolgte ich diesen ungewöhnlichen Vorgang und mußte dabei natürlich an die hektischen Tage in Marseille denken, an die von Flüchtlingen aus ganz Europa überlaufene Stadt, in der ich dank einer glücklichen Begegnung einen Abend mit Anna Seghers in einer kleinen griechischen Kneipe »verquatschte«, woran sie sich später oft vergnügt erinnerte.Im Zufluchtsort Marseille gab es einen Hafen, von hier aus stach mitunter ein Schiff in See, dessen Ziel ein rettender, von Faschismus und Krieg verschonter Kontinent war. Auch das mexikanische Konsulat, dem Gilberto Bosques vorstand, war in jener verrückten, von Tausenden Ängsten und schüchternen Hoffnungen vibrierenden Atmosphäre ein Hafen, von dem aus das Leben weitergehen konnte. Und mich schließlich bis zu dieser Bronzebüste im einstigen Trotzki-Haus geführt hat.
    Während meines ersten Aufenthaltes in Mexiko habe ich mehrere Erdbeben erlebt, von denen eins mit der Geburt eines neuen Vulkans verbunden war. Kisch hat über die Entstehung dieses Paricutín getauften Neulings (er brach auf dem Kirchenplatz des Dorfes Paringaricutiro aus) in seinen »Entdeckungen in Mexiko« ausführlich berichtet. Wenige Jahre vor meinem jetzigen Besuch war die Hauptstadt von einem katastrophalen Erdbeben heimgesucht worden, mit zusammengebrochenen Straßenzügen und ungezählten Toten. Beinahe mit einem Anklang von schwarzem Stolz – der Tod schreitet hier seit eh und je neben dem Leben einher – erzählte man mir nun, daß auch die Familie des berühmten Sängers Placido Domingo von diesem Unglück schwer betroffen wurde. Ungeachtet dieser schlimmen Erfahrungen schritt ich nun durch Boulevards mit Wolkenkratzern zu beiden Seiten; zum Teil sind es ungewöhnliche, mit mexikanischem Schönheitssinn gestaltete, in den Himmel aufragende Glaspaläste.
    Die Stadt besitzt nun eine Untergrundbahn, und in meinem Hotelzimmer hingen die Bilder schief an den Wänden. Ich konnte nicht ergründen, ob noch als Folge des letzten Erdbebens oder schon in Vorahnung eineskünftigen. Als wir hier lebten, hatte ich mir angewöhnt, einen schnellen Blick auf die Lampe an der Zimmerdecke zu werfen, wenn mir plötzlich schwindlig zumute wurde. Schwankte sie hin und her, war ein Erdbeben im Anzug oder auch schon da. Alle Glocken in den erschütterten Kirchtürmen setzten sich in Bewegung, Katzen jaulten, Hunde winselten, die Indianerfrauen zerrten ihre verschlafenen Kinder aus den Häusern oder ihren notdürftigen Behausungen und knieten mit brennenden Kerzen in den Händen auf der bebenden Erde. Wenn die sich freilich unter ihnen öffnete oder von oben Steinblöcke herabsausten, boten die flackernden Kerzen kaum Hilfe. Seither hat man technische Mittel erfunden, um die Gebäude wenigstens gegen horizontale Erdstöße abzusichern. Gegen vertikale soll es
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