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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
Autoren: Lenka Reinerová
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und Kuchen und, falls notwendig, auch tatkräftige Hilfe bekamen. Internationaler Tourismus? Davon träumte die Melantrichgasse damals noch nicht einmal.
    »Für die feschen Dinger vor dem Puff bin ich mit den gestrandeten Größen und müden Kämpen aus der Literaturbranche, die zu mir pilgern, wahrlich kein idealerNachbar«, bemerkte Kisch einmal, als wir nach einer Veranstaltung des Bert-Brecht-Klubs in später Stunde nach Hause trabten. »Aber so ein journalistischer Grünschnabel und universeller Anfänger wirklichen Lebens wie du sollte die Nachbarschaft mit mir entsprechend zu schätzen wissen. Lade mich also jetzt gefälligst zu einer Tasse Kaffee ein.«
    »Leider«, sagte ich damals, »die wäre heute wohl schon deine zweiundfünfzigste, und außerdem ist die Mitternacht schon längst vorbei. Grünschnäbel müssen ordentlich schlafen.«
    Ob wohl der Egonek nunmehr von seinem unerreichbaren Kaffeehaustischchen aus der Meinung ist, daß ich in den Intentionen unserer Melantrichgasse, dann später des Hotel Moderne in Versailles, in dem ich kurz vor Kriegsausbruch eine Zeitlang gemeinsam mit dem Ehepaar Kisch wohnte, und noch später in der Geborgenheit der Exilgemeinschaft in Mexiko ein »wirkliches Leben« fertiggebracht habe? Es scheint mir wirklich ein bißchen ungerecht zu sein, wenn solche Überlegungen und gar erst die Antwort auf noch schwerwiegendere Fragen, die uns früher nicht einmal am Rande in den Sinn kamen, nunmehr mir allein überlassen bleibt. Mit der kollektiven Weisheit von einst kann man ja heutzutage keineswegs mehr zurechtkommen. Und im Traumcafé hüllen sich die Klugen von gestern in geheimnisvolles Schweigen.
    Selbst als man ihm vom Prager Friedhof seinen Bronzekopf klaute, ließ mich Kisch von seinem himmlischen Café aus nichts davon wissen. So kam es, daß ich erst Wochen später bei einem zufälligen Besuch des Krematoriums und des anschließenden Kolumbariums damit konfrontiert wurde, daß nur noch die kleine Säuleaus grünlich weißem Marmor mit Kischs Namen und dem seiner Frau Gisela am ursprünglichen Platz stand und dort, wo der recht geglückte Kopf aus Bronze auf uns herabzublicken pflegte, allein eine rostige Schraube aus dem steinernen Untersatz aufragte.
    »Egonek«, rief ich bestürzt aus, »wo hast du bloß deinen Kopf gelassen?«
    »Bei den Genossen«, lautete die trockene Antwort, und in typischer Kisch-Recherche fügte er noch hinzu: »Buntmetall ist heutzutage beinahe mehr gefragt als Edelmetall. Bronze zählt zu den besten Artikeln auf dem Schwarzmarkt und dazu noch ein Kischkopf! Wenn du mehr erfahren willst, mußt du dich an die kompetenten Spezialisten des internationalen Metallschieberkonzerns wenden. Habe ich dir nicht oft genug gesagt, daß du, besonders in so heiklen Angelegenheiten, nur mit stichhaltigen Informationen arbeiten darfst?«
    In diesem heiklen Fall waren freilich stichhaltige Informationen selbst bei bestem Willen von keiner kompetenten Stelle zu erhalten. Als ich in einer Zeitungsnotiz meiner Empörung über diese niederträchtige Gaunerei Luft machte, wurde ich dann allerdings auf der Straße wiederholt selbst von mir unbekannten Mitbürgern angehalten und gefragt: »Hat man Ihnen schon den Kisch zurückgebracht?« Auch meine lieben Prager!
    Zurückgebracht, besser gesagt erneuert hat den Kopf jedoch erst eine gemeinsame Initiative der tschechischen Zeitschrift »Signál« mit dem Hamburger »Spiegel«.
    »Jetzt bist du also wieder komplett, Egonek, sogar ein bißchen würdevoller als vorher«, meldete ich ihm, als sein neues Metallhaupt endlich an Ort und Stelle festgemacht und feierlich enthüllt war.
    Kisch zog die Augenbrauen hoch, griff automatischnach der nächsten, hier allerdings nur mit paradiesischen Düften gewürzten Zigarette und bemerkte nachsichtig:
    »Unter Ganoven fühlte ich mich bekanntlich immer in meinem Element. Da kann mir ruhig selbst mein Kopf gestohlen werden.«
    »Ist ja auch passiert«, konnte nun ich trocken bemerken, »aber den nächsten wirst du dir gefälligst schon allein besorgen müssen. Eine solche Affäre reicht mir gerade.«
    Etwas wüßte ich allerdings sehr gern: Kann ich den Egonek fragen, ob er im Traumcafé oder in einem der anliegenden Lokale des Elysiums auch seiner Galgentoni begegnet ist? Bei aller übermütigen Angeberei war Kisch in solchen Dingen, was seine eigene Person anbelangte, erstaunlich reserviert .
    »In diesen Sachen bin ich eher für die Praxis, als fürs Theoretisieren«, meinte
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