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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
Autoren: Lenka Reinerová
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Augen, dem ich als Kind jedesmal im Neuen Deutschen Theater begegnete, wenn mich meine Mutter zu einer Opernpremiere mitnahm. Die Sänger auf der Bühne, die Musiker im Orchesterraum und der Dirigent auf seinem Podest warfen ihm nervöse Blicke zu, wenn sie dem Publikum für den Beifall dankten. Applaudierte auch Brod? War er nicht gleich nach dem letzten Ton davongeeilt? Und falls er dies tat, wollte er vielleicht noch in der Morgenausgabe des Prager Tagblatt seine Kritik unterbringen? Wird er loben oder verreißen? Oder, um Himmels willen, das Ganze mit einer quasi nur so nebenbei geäußerten, kühl abwertenden Bemerkung zunichte machen? Denn für die Prager Theaterliebhaber war eine Rezension ihres Max Brod in ihrem Prager Tagblatt entscheidend: was ihm gefiel, sprach dann meistens auch sie an. Was er ablehnte, konnte auch ihnen kaum zusagen.
    Ich bin mit ihm, dem späteren Dramaturgen des Habimah-Theaters in Israel, nur einmal ganz flüchtig in Kontakt gekommen.
    »Sie werden sich daran wohl kaum erinnern, Herr Brod«, wage ich nun, in dieser Lichtjahrentfernung jenes für ihn durchaus bedeutungslose und für mich damals sonderbar beunruhigende Gespräch aufzufrischen, »bei einer Schülerakademie des Stephansgymnasiums, das ja auch Sie lange vorher besucht haben, hat michIhnen mein Klassenlehrer Professor Dr. Oscar Kohn als das talentierte Mädchen vorgestellt, das Ihnen auf der Bühne aufgefallen war, und hat Sie gefragt, ob Sie nicht etwas für mich tun könnten, weil ich wegen der schlechten finanziellen Lage meiner Eltern zu seinem Bedauern nicht weiterstudieren konnte und allem Anschein nach, so meinte er, fraglos künstlerisch talentiert sei.
    »Vielleicht«, haben Sie damals gesagt und mich mit Ihren tiefschwarzen Augen von oben bis unten genüßlich gemustert, »vielleicht kommen Sie einmal bei mir vorbei, kleines Fräulein. Sie finden mich so gut wie täglich in der Redaktion. Vielleicht könnte ich . . .«, und Sie haben den Satz nicht beendet.
    »Das schlag dir gefälligst schnell aus dem Kopf«, entschied meine Mutter resolut und keinen Widerspruch duldend, als ich ihr von dieser »phantastischen Chance« berichtete. »Solche offenen Sätze sind für junge Mädchen sehr gefährlich.«
    Und so endete meine künstlerische Karriere, noch ehe sie begann, und meine Bekanntschaft mit Max Brod kann ich erst jetzt, unbelastet von erdgebundenen Vermutungen, nach Wunsch und Belieben fortsetzen.
    »Ein Motiv aus der Sinfonietta von Leoš Janácek, Herr Brod, für dessen Weltruf Sie sich mit so bewundernswerter Energie und Ausdauer eingesetzt haben, erklingt nun aufgrund einer Verfügung von Präsident Havel bei der Begrüßung hochgestellter Gäste auf dem Burghof des Prager Hradschin. Haben Sie sich so etwas in den Jahren, als Sie dem ›Schlauen Füchslein‹ zum Durchbruch auf den Opernbühnen von Rang verhelfen, auch nur vorstellen können?«
    »Ach«, sagt Brod sichtlich erfreut, »das ist mir bislang entgangen. Also keine heroisch schmetternden Klängemehr, sondern vollblütige Musik, die aus Volksweisen schöpft. Interessant. Prag ist demnach weiterhin oder, besser gesagt, wiederum sehr interessant.« Und er blickt sich suchend um, als wolle er unter den plaudernden oder versonnen in die Ferne blickenden Traumcafé-Gästen die strahlend weiße Löwenmähne des mährischen Komponisten ausmachen, um ihm diese erfreuliche Nachricht mitzuteilen. Aber wer weiß, vielleicht frequentiert Leoš Janácek ein anderes, vornehmlich von Musikern besetztes Elysium und schmunzelt dort längst zufrieden über diese ihm unverhofft zugekommene Ehre.
    Als es die Prager Kaffeehäuser mit ihren Stammtischen und verständnisvollen Herren Oberkellnern noch hier unten in unseren Straßen gab, als man noch wußte, welchen Kreis von Literaten man im Café Metro, in der Unionka oder etwa im Nationalcafé antreffen konnte, als man nicht fehlging, wenn man die gemischte Runde tschechischer und deutschsprachiger Schriftsteller im Café Arco suchte – da konnte man auch noch der schlanken, in den Schultern etwas zusammengesunkenen Figur eines Prager Autors begegnen, der in der angeregt lärmenden Gesellschaft eher zu den stillen Teilnehmern zählte, nicht regelmäßig, sondern nur ab und zu dabei war, oft kränkelte und nicht in Prag weilte. In meinem Traumcafé hat Franz Kafka jedoch einen ständigen und festen Platz. So kann ich auch mit ihm, der in die ewigen Gefilde entwich, als ich noch ein Kind war, ohne weiteres ein kleines
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