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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
Autoren: Lenka Reinerová
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Europa, die heimkehrten. Unterwegs war auch eine Kiste mit Milchpulver und Babyausstattung, ich erwartete ein Kind. Mit uns schleppten wir nur je einen Koffer mit der notwendigen Kleidung für uns beide.
    Die Kisten sind bei uns niemals angekommen, was mich nur in Bezug auf die Bücher erstaunte, denn daß in dem verwüsteten und ausgehungerten Land Decken, Kindernahrung und Babywäsche auf der Strecke blieben und andere Empfänger erreichten, konnte mich betrüben, aber nicht verwundern.
    In dem Koffer, den ich bei mir hatte, gab es neben einigen eher unnützen Kleidungsstücken – die Jahre im sonnigen Mexiko hatten unsere Vorstellung vom kalten Europa ein wenig verblassen lassen – eine etwas ungewöhnliche Jacke. Ihr Vorderteil und die Ärmel waren aus festem, filzartigem weißem Stoff, der Rücken aus flammend rotem. Die weißen Teile waren mit fröhlichen Girlanden bestickt, den roten Rücken zierte in grellen Farben ein ziemlich großes gesticktes mexikanisches Wappen mit dem Adler, der eine Schlange in seinen Klauen hält. In Mexiko habe ich dieses Prachtstück meiner Garderobe (wie bin ich nur dazu gekommen?) fast nie getragen, es schien mir allzu auffallend zu sein. Jetzt aber hielt ich mit Liebe daran fest. Im Winter wärmte es mich in den kaum oder überhaupt nicht geheizten Räumen, schützte mich gegen den hier viel zu häufigen eisigen Kosava-Wind. Im Frühling lief ich dann fröhlich mit dem bunten Wappen auf dem Rücken umher.
    Alles rings um mich war grau. Die geborstenen Wände der beschädigten Häuser, die gähnenden Straßenlücken, die verstaubten leeren Schaufenster, die holprigen und unausgebesserten Gehsteige, die schäbigen Kleider der Menschen, ihre Gesichter, die Zeitungen, die Rundfunksendungen (an denen ich selbst im Radio Beograd mitarbeitete), alles. So wirkte es jedenfalls auf mich, so drückte es mich nieder.
    Da holte ich meine Jacke mit den bunten Girlanden vorne und dem wilden Wappen auf dem Rücken hervor, und so angetan schob ich meinen Kinderwagen durch die Menschenmenge, die sich allabendlich auf dem Korso im Stadtzentrum einfand. So bekleidet ging ich zur Überraschung meiner Kollegen zur Arbeit, zum Einholen (wenn es etwas gab), mit dem Baby in den Kalimegdan-Park.Mein farbenfroher Aufzug verbesserte nicht nur meine eigene Stimmung, ich zuckte wie ein Flämmchen durch die vom Krieg verletzten Straßen, rief auf den Gesichtern meiner Mitbürger ein halb erstauntes und halb belustigtes Lächeln hervor, nahm es mit dem Grau ringsum auf, wollte mich von der verkrampften Atmosphäre nicht unterkriegen lassen.
    »In Mexiko hast du diese Jacke nie getragen«, wunderte sich mein Mann.
    »Dort mußte ich nicht«, antwortete ich, »dort schien die Sonne.«
    Da nickte er bloß.
    Meine rot-weiße Mexiko-Jacke im Nachkriegs-Belgrad hatte ich schon beinahe vergessen. Sie fiel mir sonderbarerweise wieder ein, als ich mich mit den Konferenzteilnehmern zum Besuch des Anthropologischen Museums begab, das in den Jahren nach unserem Aufenthalt in der mexikanischen Hauptstadt errichtet worden war. Jeder, der bislang dort gewesen war, erzählte begeistert von diesem Erlebnis. Allein schon die großartige Anlage des ganzen Komplexes ist beeindruckend, jeder Stein, jede Perspektive scheint hier ihre Funktion zu haben.
    Aber was hat das mit meiner optimistischen bestickten Jacke gemein?
    Doch, doch.
    Eine junge mexikanische Architektin übernahm die Führung unserer Gruppe. Sie war sehr gewissenhaft, wußte über jedes Exponat etwas zu sagen, holte historisch weit aus.
    So geht das nicht, sagte ich mir bald. Alles zu betrachten, die Kunst der Azteken, der Mayas, der Inkas, der Tolteken . . . dafür mußte man einige Tage zur Verfügunghaben, wir aber haben nur ein paar Stunden. Also bedankte ich mich bei unserer jungen Begleiterin, versprach, mich pünktlich zur Abfahrt vom Museum einzufinden, und ging los, um mich wenigsten mit einem Zeitabschnitt etwas näher bekannt zu machen. Ich wählte die Kunst der Mayas. Auf dem Weg in diese Abteilung blieb ich freilich immer wieder vor einem der Exponate stehen, feierte mit den Symbolfiguren (Adler, der eine Schlange in seinen Krallen hält) vielfaches Wiedersehen und betrat schließlich die Räume mit der Maya-Kultur. Stein, Onyx, getriebenes Gold. Ein Dío gordíto, eine dickleibige Gottheit, die verschmitzt lächelnd ihr goldenes Bäuchlein vorweist, ein offenbar zufriedener Teenage-Gott (Alter? Tausend Jahre?).
    Plötzlich blieb ich wie angewurzelt
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