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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
Autoren: Lenka Reinerová
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stehen. Das war nicht möglich! Ich wanderte doch durch die Abteilung der Kunst des Stammes der Maya-Indios, aber hier an der Wand blickte mit einem Mal das trotzige Gesicht Ludwig van Beethovens auf mich herab, die störrisch gesenkte Stirn, die breiten Backenknochen, der überhaupt breit gebaute Kopf, in dem so wundervolle Musik erklang. Bist du verrückt, flüsterte ich mir zu, wohin führt dich dein Phantasieren? Beethoven im dritten Jahrhundert? Und warum nicht, widersprach ich mir, warum konnte dieser Herrscher oder Gott nicht von einem ähnlichen Geist beseelt gewesen sein wie der Künstler, der dieses Antlitz an einem anderen Ende der Welt und in einer vor Beethoven längst vergangenen Zeit geschaffen hat? Aber hier war doch alles anders, räsonierte es in mir. Gewiß, gab ich zu, aber ich nehme doch die Kunst hier und die Kunst drüben auf meinem Kontinent mit denselben Augen und mit meinem einzigen, mir gegebenen Sinn auf. Dort wie hier angeregt und beglückt.
    Und auf diesem Umweg kam ich dann auch auf meine mexikanisch wilde Jacke zurück. Hätte mich denn ein am laufenden Band, technisch perfekt und seelenlos mechanisch produziertes Kleidungstück gegen trostloses Grau stützen und in weitester Ferne noch erfreuen können? Das war es, woran ich hier mit einem Mal denken mußte. Auch meine gute Jacke war ein Ergebnis menschlicher Schaffensfreude.
    Angeregt und beglückt fühlte ich mich gleichfalls, als wir im Palacio de Bellas Artes einer Aufführung mexikanischer Tänze von den Azteken bis in unsere Tage beiwohnten. Von den Ritualtänzen zu Ehren der Götter bis zum Charabe-Tapatío der Neuzeit. Und das alles in einer Orgie von Bewegung, Farbe und Musik; jeder Schuhabsatz, jeder Faltenwurf der verschwenderisch farbreichen Kostüme tanzte hier mit.
    Einer meiner Konferenzkollegen, der in der Pause das prächtige große Haus bewunderte, fragte mich, ob ich auch während meines einstigen Aufenthaltes in Mexiko Gelegenheit hatte, dieses schöne Theater zu besuchen. Meine Antwort überraschte ihn (und beinahe auch mich):
    »Ich habe einmal von dieser Bühne sogar eine kleine Ansprache gehalten.«
    »Von dieser riesigen Bühne?«
    Ich nickte und staunte erst jetzt so richtig über meine damalige Kühnheit. Es war im Jahr 1942, als die Welt von der Nachricht entsetzt wurde, daß die Nazis das Böhmische Bergarbeiterdorf Lidice in den Boden gestampft hatten. Später reihten sich das französische Oradour, das italienische Marzabotto, ungezählte polnische und russische Dörfer in diese gespenstische Folge. Aber von Lidice erfuhr man zuerst.
    In unserer tschechoslowakischen Botschaft besuchtenuns in jenen Tagen die Lehrerinnen einer nach dem ersten Präsidenten der Tschechoslowakei, Professor T. G. Masaryk, benannten mexikanischen Mädchenschule, die Eltern eines eben auf die Welt gekommenen Mädchens, das sie auf den Namen Lidice taufen ließen, einfache Bürger der Hauptstadt, die uns nur ihre Sympathie bekunden wollten. Schließlich kam auch eine Abordnung aus dem Dorf San Jerónimo Aculco, das beschlossen hatte in Hinkunft seinem Namen den des von den Faschisten »für immer ausgelöschten« Dorfes in der Tschechoslowakei hinzuzufügen.
    Ich war damals überaus beschäftigt, organisierte, vereinbarte, rannte von der Masaryk-Schule in den Rundfunk, fuhr nach San Jerónimo, sprach mit vielen Menschen. Für meine persönliche Erschütterung blieben nur die Nachtstunden, in denen ich nicht schlafen konnte und meine Erzählung »Die kotigen Schuhe« schrieb.
    Ich weiß nicht mehr, wer mit dem Einfall gekommen war, im Palacio de Bellas Artes eine öffentliche mexikanisch-tschechoslowakische Manifestation für Lidice zu veranstalten. Vielleicht war es André Simone, der nimmermüde Organisator antifaschistischer Aktionen, der 1952 aufgrund eines absurden Urteilsspruchs seiner einstigen Genossen eines schrecklichen Todes sterben mußte. Ich kann mich daran nicht mehr erinnern, weiß nur, daß es Egon Erwin Kisch war, der den Vorschlag machte neben den offiziellen Rednern sollte auch ich das Wort ergreifen.
    »Bist du verrückt geworden?« war meine erste erschrockene Reaktion. »Im Palacio, vor hunderten Menschen?«
    Aber schließlich ließ ich mich überreden. Es würde gut wirken, überzeugte man mich von allen Seiten, wenn »eine junge Frau, aus Böhmen . . .«
    Wieder schlief ich ein paar Nächte nicht und versuchte meine Rede aufzusetzen. Aber als ich dann nach der Ankündigung »una joven mujer de Bohemia«
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