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Das Testament

Das Testament

Titel: Das Testament
Autoren: John Grisham
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ist der Himmel bedeckt. Es ist unfreundlich, kalt und windig, kein schlechter Tag, um zu sterben. Der Wind reißt das letzte welke Laub von den Zweigen und weht es unten über den Parkplatz.
    Warum mache ich mir Sorgen wegen der Schmerzen? Was ist gegen ein bißchen Leiden einzuwenden? Ich habe mehr Elend verursacht als zehn beliebige andere Menschen.
    Ich drücke auf einen Knopf, und Snead kommt herein. Er verbeugt sich und schiebt meinen Rollstuhl aus der Wohnungstür in die mit Marmor ausgekleidete Empfangshalle und von dort durch eine andere Tür. Es kommt näher, aber ich spüre keine Beklemmung.
    Ich habe die Psychiater über zwei Stunden warten lassen.
    Wir kommen an meinem Büro vorüber, und ich nicke Nicolette zu, meiner letzten Sekretärin, einem niedlichen jungen Ding, das ich recht gut leiden kann. Wenn mir Zeit bliebe, könnte sie die Nummer vier werden.
    Aber mir bleibt keine Zeit. Es sind nur noch Minuten.
    Die Meute wartet - ganze Rudel von Anwälten und drei Psychiater, die darüber befinden werden, ob ich bei klarem Verstand bin. Sie drängen sich um einen langen Tisch in meinem Besprechungszimmer. Als ich hereinkomme, hört ihr Gespräch schlagartig auf. Alle starren mich an. Snead schiebt mich an eine der Längsseiten des Tisches neben meinen Anwalt Stafford.
    Kameras zeigen in alle Richtungen, und die Techniker sind eifrig mit ihnen und den Mikrophonen beschäftigt. Jeder geflüsterte Laut, jede noch so geringe Bewegung, jeder Atemzug wird aufgezeichnet, denn es geht um ein Vermögen.
    Im letzten von mir unterschriebenen Testament waren meine Kinder kaum bedacht worden. Wie immer hatte es Josh Stafford aufgesetzt. Ich habe es heute morgen in den Reißwolf gesteckt.
    Ich sitze hier, um aller Welt zu beweisen, dass meine Geisteskräfte ausreichen, ein neues Testament abzufassen. Sobald dieser Beweis erbracht ist, kann niemand die Verfügungen anfechten, die ich über mein Vermögen treffe.
    Mir unmittelbar gegenüber sitzen drei Psychofritzen - jede der Familien hat einen benannt. Auf geknickten Karteikarten, die sie vor sich gestellt haben, hat jeder in Großbuchstaben seinen Namen geschrieben - Dr. Zadel, Dr. Flowe und Dr.
    Theishen. Ich sehe mir ihre Augen und Gesichter aufmerksam an. Da ich als normal gelten will, muss ich Blickkontakt herstellen.
    Sie sind überzeugt, dass ich ein bißchen wirr im Kopf bin, dabei stehe ich im Begriff, sie im großen Stil reinzulegen.
    Stafford wird die ganze Sache deichseln. Als alle Platz genommen haben und die Kameras bereit sind, sagt er: »Ich heiße Josh Stafford und bin der von Mr. Troy Phelan, der rechts neben mir sitzt, bevollmächtigte Anwalt.«
    Ich nehme mir einen der Psychofritzen nach dem anderen vor, Auge in Auge, bis sie blinzeln oder den Blick abwenden. Alle drei tragen sie dunkle Anzüge. Zadel und Flowe haben Zottelbärte, Theishen, der eine Fliege um den Hals hat, sieht aus, als wäre er höchstens dreißig. Jede der Familien hatte das Recht, einen Psychiater ihres Vertrauens zu benennen.
    Jetzt redet wieder Stafford. »Zweck dieser Zusammenkunft ist es, Mr. Phelan von einer psychiatrischen Kommission untersuchen zu lassen, die seine Testierfähigkeit feststellen soll. Vorausgesetzt, sie erkennt ihm den Vollbesitz seiner geistigen Kräfte zu, beabsichtigt er, eine letztwillige Verfügung zu unterzeichnen, mit der er für den Fall seines Todes die Verteilung seines Vermögen regelt.«
    Stafford klopft mit dem Bleistift auf den gut zweieinhalb Zentimeter dicken Papierstapel, der vor uns liegt: das Testament. Bestimmt fahren jetzt die Kameras mit ihren Gummilinsen zu einer Nahaufnahme darauf zu, und bestimmt läuft meinen Kindern und ihren Müttern, die im ganzen Gebäude verteilt sind, bei seinem bloßen Anblick ein Schauer über den Rücken.
    Sie haben es bisher nicht gesehen und haben auch keinen Anspruch darauf. Eine letztwillige Verfügung ist ein privatrechtlicher einseitiger Vertrag, dessen Inhalt erst nach dem Tode des Erlassers bekannt gegeben wird. Diejenigen, die als Erben in Frage kommen, können darüber lediglich spekulieren. Meine Erben haben Hinweise bekommen, von mir sorgfältig in Umlauf gesetzte Falschinformationen.
    Daher sind sie überzeugt, dass der größte Teil meines Nachlasses mehr oder weniger gerecht zwischen den Kindern aufgeteilt wird und die Ex-Frauen ebenfalls großzügig bedacht werden. Das wissen sie; sie können es spüren. Seit Wochen, ja Monaten, beten sie inbrünstig darum, dass das Testament, das jetzt
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