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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
Autoren: Britta Hasler
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Johanna Kowak ihre Hände weg und richtete sich kerzengerade auf. „Es ist eine kranke, pflegebedürftige Dame, die mir diesen Auftrag gegeben hat. Ich kann Ihnen nicht sagen, wer Sie ist. Es ist auch nicht wichtig für Sie, denke ich. Wichtig ist, dass Sie wieder auf die Beine kommen. Haben Sie keinen Ort, wo Sie hinkönnen?“
    Doch, den habe ich, dachte Julius mit einem plötzlichen Anflug von Freude.
    „Diese Kleider da – er zeigte auf die abgetragenen Mäntel und Anzüge, die an der Garderobenstange hingen wie greise Gespenster, „wem gehören die?“
    „Wir unterhalten hier eine Art Kleiderkammer, wo Sie keine Bescheinigung brauchen, wenn Sie etwas bekommen. Es sind Spenden von gutherzigen Menschen.“
    Sie stand auf und sah sich die Sachen prüfend an. „Sie werden erfrieren, wenn Sie nichts Anständiges anziehen. Nehmen Sie das hier.“
    Johanna reichte ihm einen dunkelbraunen, grob gewebten Anzug und eine Weste.
    „Und hier, das Hemd hier ist etwas wärmer.“
    „Hören Sie, das kann ich nicht annehmen “ , sagte Julius. Die Tatsache, dass heute sein Glückstag zu sein schien, machte ihn verlegen.
    „Diese Sachen wurden aber hier abgegeben, damit sie jemand anderem helfen“, sagte sie bestimmt, „Los, nun zieren Sie sich nicht. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.“
    „Ach, diese groben Kerle da draußen“, wandte Julius ein, dem der Gedanke, sie gehen zu lassen, gar nicht gefiel.
    Johanna Kowak schüttelte ernst den Kopf und sagte: „Das da draußen ist nicht meine richtige Arbeit. Das mache ich nur ehrenamtlich. Ich muss gleich ins Allgemeine Krankenhaus. Da arbeite ich als Krankenschwester.“
    Julius nahm das Kleiderbündel und sah sie an. Sie verströmte den Geruch nach Linseneintopf. Aber irgendwo dahinter schwebte versteckt ein anderer Duft. Eine feine Seife und etwas, das roch wie Leinen, glaubte Julius. Er stellte sich Johanna Kowak in einem hellblauen Schwesternkleid vor, und etwas in seiner Brust wurde enger. „Danke für den Anzug, er kommt mir wirklich sehr gelegen“, sagte er und drückte den Stoff an sich. „Ich habe morgen ein Vorstellungsgespräch, wissen Sie? Und ich hatte nichts zum Anziehen. Mit ein bisschen Glück habe ich heute zum ersten und letzten Mal in der Suppenanstalt gegessen.“
    „Das würde mich sehr freuen“, sagte Johanna und ging zur Tür.
    „Dass ich nicht mehr komme?“, fragte Julius und zwang sich zu einem Lächeln.
    „Nein“, erwiderte Johanna und öffnete die Tür. Um ihre schmalen Lippen spielte ein verschmitztes Lächeln. „Sie werden wiederkommen. Sie haben sich nämlich gerade verliebt.“
    ***
    „Seit wann bekommt ein Faulenzer wie Sie Post?!“, fragte Frau Hanak verächtlich und hielt ihm ein Päckchen entgegen, als Julius das Haus in der Fasszieherstraße zu Füßen des Spittelberges betrat. Es war ein handtellergroßes Ding, eingewickelt in braunes Packpapier. Julius hatte noch nie in seinem Leben ein Päckchen bekommen und hielt es erst einmal von sich, als wäre es eine tote Maus.
    „Von wem ist das?“, fragte er erstaunt.
    „Woher soll ich das wissen?“, blaffte die Wirtin. „Die Leute, die glauben, Ihnen etwas schicken zu müssen, schreiben ja nicht mal einen Absender drauf.“
    Julius drehte das Paket um. Er konnte tatsächlich keinen Absender entdecken. Nur seine eigene Adresse in einer krakeligen, schiefen Schrift, die aussah, als hätte sie jemand mit zitternder Hand geschrieben. Er beeilte sich, auf sein Zimmer zu verschwinden. Auf der Treppe hörte er noch die nörgelnde Stimme der Hanak: „Eigentlich müsste ich Ihnen das Paket abnehmen und schauen, ob etwas drin ist, mit dem Sie Ihre Schulden begleichen können!“
    Der Inhalt des Päckchens war mehrmals mit Packpapier umwickelt, innen noch einmal mit einer Schnur zusammengebunden, und es dauerte quälend lang, bis Julius endlich zu dem verpackten Gegenstand vordrang.
    Es war eine Lupe. Eine kleine Lupe, die schön und edel gearbeitet war, das Lupenglas gerade einmal so groß wie das Rund einer Mokkatasse und in einer Einfassung aus ziseliertem Silber. Der Stiel sah aus, wie der Griff eines Teelöffels aus den habsburgischen Speisezimmern. Warum schickte jemand Julius eine Lupe? Und noch dazu eine, die beim Pfandleihhaus eine hübsche Summe bringen würde?
    Julius wühlte in dem Papierhaufen. Auf einem Fetzen des Packpapiers entdeckte er schließlich Worte. In der gleichen schiefen, unsicheren Schrift, in der auch seine Adresse geschrieben war, wurde ihm Folgendes
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