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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
Autoren: Britta Hasler
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Besitz des Kaisers einfach mit einem Kettenhandschuh, wie die Fleischer ihn benutzen, gepackt und in die Schachtel gesteckt. Dort wartete das kleine, hochgiftige Reptil nun schon seit drei Tagen auf das Ende seiner Vorbereitungen.
    Das Tier krümmte und wand sich in seinem Griff. Der winzige flache Kopf schoss vor und zurück, und der Mann hielt sie weit von sich, damit sie nicht ihm ihre Zähne in die Haut bohrte. Rasch richtete er den züngelnden Schlangenkopf auf den rechten, lose herabhängenden Arm der Frau und setzte das Tier dort ab.
    Es biss augenblicklich zu. Ein leises, scharfes Reißen ertönte, als die wütende Schlange ihre Giftzähne direkt in die Armbeuge der Frau schlug.
    Der Mann konnte sein Glück kaum fassen. Es war vollbracht. Eine prickelnde heiße Welle des Triumphs flutete durch seinen Körper. Er trat einen Schritt zurück und starrte mit angehaltenem Atem auf die Anordnung. Die Frau bäumte sich leicht auf und zuckte ein wenig. Die Schlange mäanderte immer noch in ihrer Armbeuge.
    Er wusste, dass für das endgültige Resultat eigentlich der rechte Unterarm die Viper einklemmen musste, so dass diese dort immer noch schlängelte, wenn man die Frau fand. Aber das war wohl nicht zu erreichen. Der Arm lag zu locker über der Lehne, und die kleine Schlange würde sich mühelos darunter befreien können. Nein, auf dieses hübsche kleine Detail würde er verzichten müssen. Sollten sich diejenigen, die in ein paar Tagen den Tod der Frau untersuchen würden, ruhig ein bisschen anstrengen, um den richtigen Zusammenhang herzustellen. Mit einem entrückten Grinsen stellte er sich vor, wie die Polizei im Dunkeln tappen würde. Ohne eine Spur zu finden zu seinem künstlerischen Genie. Ohne eine Ahnung zu haben, was das alles bedeutete.
    Er würde verkannt werden. Wie immer. Das war er längst gewohnt. Aber diesmal konnten sie ihn wenigstens nicht mehr verleugnen. Diesmal hatte er sich ein Denkmal gesetzt. Endlich. Seit Jahren wartete er schon darauf, dass man ihn endlich sah. Hier war der unumstößliche Beweis für sein Genie. Und das würden die blasierten, verwöhnten Wiener niemals vergessen. Dieses Werk hier war viel langlebiger und beständiger als jede schnöde Leinwand.
    Er riss sich los von seinem Meisterwerk und räumte seine Utensilien zusammen. Bevor er ging, hebelte er eine der Bodendielen auf und legte etwas in den Hohlraum zwischen Holzfußboden und Untergrund. Dann verschwand er aus der kleinen Wohnung in der Eggerthgasse. Als er auf die Straße trat, war es, als fiele ein Steinchen in eine Schubkarre voller Kies. Nichts, was irgendjemand bemerkt hätte.

II
    Vor den Toren des Wiener Zentralfriedhofs stand der Tod, der Einlass in sein eigenes Haus begehrte.
    Bei genauem Hinsehen war es jedoch nur ein junger Mann, dem man ansah, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis er ein Teil der verwesenden Fundamente dieser Totenstadt werden würde. Sein fadenscheiniges Hemd umflatterte ihn wie dünner Nebel. Seine letzte Mahlzeit lag drei Tage zurück, und in seinen eingefallenen Wangen lauerte eine Müdigkeit, die über sein eigenes Leben hinausging.
    Der Mann hieß Julius Pawalet, und er hatte sich diesen eisigen Novembertag ausgesucht, um einen letzten Versuch zu wagen, doch nicht aus dem Leben der Menschen verschwinden zu müssen.
    Er war an einem toten Punkt angekommen, und sein Magen knurrte so laut, dass er das eintönige Klopfen der Steinmetze übertönte. Das Geräusch holte ihn in die Wirklichkeit zurück.
    Wenn er gewusst hätte, dass genau in diesem Moment eine Frau im Herzen der Stadt am Gift einer ägyptischen Viper starb, hätte er sich vielleicht noch elender gefühlt. So aber nahm er seine letzten Kräfte zusammen, um sich selbst dem zu entreißen, was er an diesem Morgen mit erschreckender Deutlichkeit gespürt hatte: dem endgültigen Verblassen. Er fand, dass er dafür noch zu jung war.
    „Herr Pawalet, wenn Sie nicht bald Ihre ausstehenden Raten zahlen, muss ich Ihnen nicht nur das Frühstück streichen; dann werden Sie auch bald zusehen müssen, dass Sie einen Platz im Obdachlosenasyl bekommen!“ Er hörte noch immer die Worte seiner Wirtin, Frau Hanak. Sie war eine geldgierige Hyäne, die ungerührt zugesehen hätte, wie er verhungert und erfroren wäre.
    „Wenn das Ihr Vater wüsste, pfui!“, sagte sie mit einem empörten Glucksen in der Kehle, das sich anhörte wie der Balzruf eines Truthahns.
    „Sie wissen, dass er alles über mich weiß, obwohl ich seit zehn Jahren
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