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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
Autoren: Britta Hasler
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überhaupt nicht zu seinem sorgenvollen Gesichtsausdruck. Sarah hielt ihm den Zeitungsartikel entgegen, und seine Miene verfinsterte sich noch mehr. Er ließ sie an sich vorbei und schloss die Tür wieder.
    »Darum geht es gerade.« Er bedeutete ihr mit einer Geste, ihm nach hinten zu folgen, doch sie hielt ihn am Arm zurück.
    »Ich habe versehentlich einen Brief geöffnet, der an dich adressiert ist. Er war in meinem Kasten.« Sie zog den Drohbrief unter dem Zeitungsartikel hervor.
    »Kein Problem.« Erst jetzt sah er auf das Blatt. Er nahm die Klarsichthüllen mit einem Stirnrunzeln entgegen, las den Text und erstarrte.
    Sarah zeigte auf die erste Zeile in arabischer Handschrift. »Was bedeutet das?«
    » Bismillah ar-rahman ar-rahim . Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen.«
    »Warum hast du nichts gesagt? Ich hätte vielleicht …«
    Jamil blickte irritiert auf.
    »Ich meine, da steht, dass es die dritte Warnung ist.«
    »Das versteh ich auch nicht«, sagte er zu ihrer Überraschung. »Verdammt!«
    Ohne ein weiteres Wort durchquerte er den Ladenbereich. Sie folgte ihm durch den langen Flur bis in die Küche, dem hintersten Teil des Geschäfts. Uwe Retzlaff saß auf einem der drei Stühle um den kleinen Kiefernholztisch herum. Er nickte Sarah zur Begrüßung zu und drückte gerade seine Zigarette im Aschenbecher aus, als Jamil den Drohbrief vor ihn auf den Tisch legte.
    »Da siehst du, wozu der ganze Presserummel führt!«
    Wortlos blickte Retzlaff auf das Blatt. Sein Gesicht ließ keine Gefühlsregung erkennen. »Wo hast du das her?«
    Jamil setzte sich ihm gegenüber an den Tisch und hielt ihm die zweite Klarsichthülle mit dem Kuvert vor die Nase. »Sag bloß nicht, dass du auch solche Briefe bekommen hast.«
    »Doch. Zwei, um genau zu sein. Aber sie waren hier an den Laden adressiert.« Im Gegensatz zu Jamil war Retzlaff immer noch die Ruhe selbst. Er lächelte Sarah an. »Guter Artikel, was?« Er deutete auf die Zeitung in ihrer rechten Hand. »Seit dem anderen letzte Woche können wir uns vor Bestellungen kaum retten. Dabei kommt das Buch erst morgen aus dem Druck.«
    »Aber wegen diesem Titel können wir den Laden bald dichtmachen. Ist der auch auf deinem Mist gewachsen? Nichts als weiße Trauben .« Jamil schnaubte verächtlich.
    Sarah blickte von einem zum anderen und blieb zögernd stehen. »Soll ich lieber später wiederkommen?«
    Jamil erhob sich noch einmal, nahm ihr den dünnen Übergangsmantel ab und legte ihn auf einen Stapel Kartons neben der Tür. »Im Gegenteil. Du kommst wie gerufen. Uwe begreift anscheinend nicht, was los ist.« Er wandte sich erneut an seinen Kompagnon. »Wo sind die Briefe?«
    »Muss das jetzt sein?«
    »Hör zu, Uwe. Das ist kein Spiel. Vielleicht kann Sarah uns sagen, was wir machen sollen.«
    Uwe Retzlaff stand auf und verließ die Küche. Jamil griff zur Arbeitsfläche und hielt eine Zeitungsseite hoch, so dass Sarah die Titelzeile des Artikels lesen konnte: Was die Märtyrer im Paradies erwartet . Zwischen Titel und Text prangte in Großaufnahme der Einband von Vanderbeks Koranstudie. Sie stutzte und griff nach der Zeitungsseite, aber Jamil legte sie wieder beiseite.
    »Vom letzten Sonntag. Noch reißerischer. Als Beispiel picken sie sich immer nur die Paradiesjungfrauen raus, als ob es in dem Buch nur darum ginge. Und die Hälfte des Artikels beschäftigt sich mit der Frage, ob dem Autor eine fatwa droht oder nicht. Was eine fatwa wirklich ist, und dass Christen davon nicht betroffen sind, wird nicht erklärt.« Er senkte die Stimme. »Gleichzeitig tun sie mit solchen Artikeln ihr Bestes, damit es trotzdem Ärger gibt. Und Uwe hilft ihnen auch noch dabei.«
    Sarah hatte immer gedacht, eine fatwa sei ein Todesurteil. Sie wollte gerade nachfragen, als Retzlaff in die Küche zurückkam.
    Die zwei ersten Briefe hatten die gleiche Aufmachung wie der dritte. Dem arabischen Schriftzug folgten jeweils drei gedruckte Zeilen in Deutsch. In einem Brief hatten sie sogar denselben Wortlaut, außer dass es sich um die zweite Warnung handelte. Der erste Brief enthielt keine direkte Drohung. Man forderte sie nur dazu auf, von der Veröffentlichung der sogenannten Koranstudie abzusehen, da es sich dabei um eine Beleidigung des offenbarten Wortes handele und sie somit als Gotteslästerung zu betrachten sei.
    »Wieso hast du mir nichts gesagt?« Jamil warf Retzlaff einen wütenden Blick zu.
    »Du hattest sowieso schon Bedenken. Was hätte es gebracht, wenn ich dich noch mehr
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