Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
Autoren: Britta Hasler
Vom Netzwerk:
wäre fast zurückgeprallt. Direkt vor ihm schlenderte Johanna über den Platz. Ein feiger Impuls sagte ihm, er solle in einen Hauseingang schlüpfen, doch da hatte sie ihn schon entdeckt. Jetzt war es zu spät, sich noch zu verstecken.
    Johanna winkte ihm unauffällig zu und blieb stehen. Er näherte sich ihr. Und gleich auf den ersten Blick nahm er die Veränderung an ihr wahr. Sie hatte irgendetwas mit ihrem Haar gemacht. Die früher hellen, unauffälligen Strähnen leuchteten in einem tiefdunklen Braun wie der verlockende Guss auf einer Sachertorte. Sie trug ein strenges graues Kostüm aus glänzendem Stoff.
    Als sie sich wortlos die Hand gaben, spürte er mit Verwunderung den dünnen Lederhandschuh über ihren Fingern. Atemlos bemerkte er, dass sie blutroten Lippenstift aufgetragen hatte und dass von ihrem Hals ein betörender Duft nach fremdartigen Blumen ausging. Er wunderte sich, dass er sie überhaupt erkannt hatte, denn sie glich in nichts mehr der Johanna, die er in Erinnerung hatte.
    „Julius, wie schön, dich zu sehen!“, sagte sie. Ihr Tonfall war nicht etwa bemüht neutral, sondern tatsächlich sehr höflich, so als wäre er ein ehemaliger Nachbar, der vor einiger Zeit weggezogen war.
    „Ich … freue mich auch“, brachte er heraus.
    Johanna lächelte unverbindlich und ohne jeden Schmerz und fragte: „Wie ist es dir ergangen, Julius? Ich habe gehört, dass du schwer verletzt wurdest.“
    Er nickte fahrig. „Ja, es war schon alles … sehr turbulent.“
    Johanna ging langsam weiter, und Julius schlenderte mit steifen Knien neben ihr her.
    „Du siehst sehr schön aus“, sagte er.
    „Und du siehst aufgeräumt aus. Geht es dir endlich besser?“
    „Ja, ich habe jetzt …“
    „… mit dem ehemaligen Inspektor eine Detektei gegründet.“
    „Woher weißt du das?“
    „Die ganze Stadt weiß das“, antwortete sie knapp.
    Eine Weile gingen sie schweigend über den Hohen Markt und bogen in die Tuchlauben ein. Julius fragte sich, wie diese Begegnung wohl enden würde. Plötzlich hatte er das Gefühl, dass er es nicht ertragen könnte, wenn Johanna einfach so wieder weggehen würde, unbeschwert und fröhlich, als wäre nichts geschehen.
    „Du arbeitest nicht mehr im Allgemeinen Krankenhaus“, stellte er fest.
    „Ach, hattest du gehofft, dass ich dir wieder die Wunden verbinde?“, fragte sie leichthin, ohne Vorwurf in der Stimme. Dabei warf sie ihm einen eigenartigen Seitenblick zu, sodass er fast über einen Kanaldeckel gestolpert wäre. Ihre früher so weiten, klaren Augen sahen ihn schelmisch an. Ihr Mund war leicht verzogen, so als hätte sie ein saures Sorbet gekostet. Sie sah aus wie eine Katze, die einen Hund aus der Ferne betrachtet, voller Argwohn und Verachtung. Irrte er sich, oder war das derselbe Blick, mit dem auch Colette sich von ihm verabschiedet hatte?
    „Wo arbeitest du denn jetzt?“, fragte er.
    „Wer sagt dir, dass ich überhaupt arbeite?“, gab sie lachend zurück.
    „Dann musst du einen wohlhabenden Mann geheiratet haben.“
    „Ach ja?“, fragte sie. „Glaubst du, man braucht einen Mann, um wohlhabend zu sein?“
    „Entschuldige bitte. Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Ich wollte nur …“
    „Was?“, fragte sie ihn und bog unvermittelt in die Tuchlauben ab. „Suchst du nach Worten, um an unsere letzte Begegnung anzuknüpfen?“
    „Nein, ich wollte nur sichergehen, dass … es dir gut geht.“
    Sein Stammeln schien sie zu erheitern. „Mach dir keine Sorgen. Ich habe mir um dich auch keine gemacht.“
    „Ja, natürlich …“, murmelte er.
    Eine Weile ging er schweigend neben ihr her und fragte sich, warum er das eigentlich tat. Offensichtlich war die zarte, gutherzige Johanna in der Zwischenzeit verschwunden. Sie hatte einem Wesen Platz gemacht, das ihn auf Abstand hielt wie eine kranke Stadttaube, der man ein paar Krumen hinschmeißt.
    „Wohin führt dich dein Weg?“, fragte sie unbekümmert.
    „In die … nirgendwohin. Ich geh’ nur ein bisschen spazieren.“
    Sie warf ihm wieder diesen seltsam wissenden Seitenblick zu und sagte: „Na dann werden wir uns wohl verabschieden müssen. Ich bin da angekommen, wo ich hinwollte.“ Sie blieb stehen. In ihrer Stimme lag eine seltsame Zweideutigkeit.
    Vor Julius ragte ein prachtvolles Eckhaus auf, das sich über zwei sich kreuzende Straßen erstreckte. Hohe Fenster spiegelten die frischen Wolken, die über den Himmel wanderten. Eine große Kuppel wölbte sich über der abgerundeten Biegung des Hauses, und in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher