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Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien

Titel: Das Sterben der Bilder: Ein unheimlicher Roman aus dem alten Wien
Autoren: Britta Hasler
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und hatte keine Möglichkeit, sich daraus zu befreien. Das viele Geld, das er für seine Kooperation bekam, hat ein Übriges getan, um ihn bei der Stange zu halten. Aber ich denke, dass Kinsky insgeheim einen Ausweg aus dieser Situation gesucht hat. Wahrscheinlich hat er dem Hofrat die Fälschung eingepackt, damit endlich alles ein Ende hat. Ein Ende mit Schrecken. Er hat es nicht mehr ausgehalten und eine Situation heraufbeschworen, in der alles zusammenbrechen konnte. Vielleicht hat er sich so sehr danach gesehnt, dass er sogar seinen eigenen Tod als die bessere Lösung angesehen hat.“
    Dann griff Tscherba in seine Uniformtasche. „Ach ja, das hier wird Ihnen Ihre Fragen beantworten, Pawalet, und es untermauert meine Theorie über Kinsky.“ Er reichte Julius ein Kuvert.
    „Was ist das?“, fragte der verwirrt.
    „Das haben wir bei der Durchsuchung von Kinskys Büro gefunden. Es ist das Original des Abschiedsbriefs von Ihrem Vater.“
    Julius nahm den Brief, öffnete ihn aber nicht.
    „Soll ich ein paar Minuten nach draußen gehen?“, fragte Tscherba höflich.
    Julius schüttelte den Kopf. „Ich glaube, ich weiß genau, was in diesem Brief steht.“
    Eine Weile schwiegen sie, und Julius spürte den seltsam widersprüchlichen Gefühlen in seinem Innern nach.
    „Weinen Sie?“, fragte Tscherba.
    Julius sah aus dem Fenster und presste die Lippen aufeinander. „Ich habe ihn gehasst. Die ganze Zeit. Ich wollte ihn hassen. Und jetzt … weiß ich, dass das falsch war.“
    Eine Weile lag er stumm da und ließ seinen Tränen freien Lauf. Der Leutnant blieb still und wartete, bis Julius sich wieder gefasst hatte. Seltsamerweise kam es dem nicht peinlich oder falsch vor, vor diesem Mann zu weinen wie ein unglückliches Kind.
    Tscherba räusperte sich, und Julius wischte sich hastig die Tränen weg.
    „Und was gibt es noch zu erzählen von den vielen Schlachtfeldern in Wien in diesen Tagen?“, fragte er.
    „Nun, die Ermittlungen zum Fall Alois Lanz sind noch nicht vollständig abgeschlossen. Ich kann noch nicht viel dazu sagen, außer dass Ihr Freund Lischka uns wohl immer eine Spur voraus war.“
    „Ich kann Ihre Zähne knirschen hören, Tscherba“, grinste Julius.
    Doch Tscherba zuckte nur die Schultern und winkte ab.
    „Ist mir gleich, ob diese alberne Bissigkeit zwischen uns zu seinen Gunsten ausgegangen ist. Ich kann allmählich verstehen, warum er sich aus dem Polizeidienst verabschiedet hat. Und ich hoffe, dass er bald wieder gesund wird.“
    „Wollen Sie damit sagen, dass wir beide ein gutes Gespann sind und diese unselige Stadt noch weiter mit unseren Großtaten beglücken sollen?“
    „Das muss ich neidlos anerkennen, ja.“
    Julius stieß ein Lachen aus, doch der Schmerz in seinem Bauch ließ ihn gleich wieder innehalten. Nachdenklich sahen sich die beiden Männer an.
    „Haben Sie noch etwas über den Mann herausgefunden? Warum kamen die Gendarmen in den Zoo? Ich habe die ganze Zeit gehofft, dass meine Schreie jemanden anlocken.“
    Tscherba zuckte mit den Schultern. „Die Schlosswache hatte den Hinweis bekommen, dass ein Mann zum Hintereingang der Menagerie gekommen war, der sich sehr verdächtig verhalten hatte. Ich muss leider gestehen, dass das Sicherheitsamt erst zu diesem Zeitpunkt auf die Idee kam, die ehemaligen Angestellten des Zoos zu überprüfen. Und siehe da, Alois Lanz hat, bevor er ins Gefängnis kam, mehrere Monate lang dort gearbeitet. Er kannte sich aus. Und da er nicht mehr in seiner Wohnung war, wollte man den Zoo durchsuchen. Genau zum richtigen Zeitpunkt, wie sich herausstellte.“
    „Was sagt die Presse?“, fragte Julius.
    „Dass es eine Schande ist, dass sich die Landesirrenanstalt und die Polizei von diesem Ungeheuer haben täuschen lassen.“
    „Ungeheuer …“, wiederholte Julius nachdenklich.
    Er dachte an die Nacht im Zoo zurück, doch in seiner Erinnerung schien ein schwarzer Fleck zu wabern und alle Eindrücke auszulöschen. Alles in ihm blieb ruhig. Er empfand nur ein leises, trauriges Mitleid.
    Leutnant Tscherba schien seine Gedanken gelesen zu haben, denn er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach was! Es gibt so viele Menschen, denen etwas Ähnliches widerfahren ist. Es kann doch nicht angehen, dass jeder unbegabte Maler, der in Wien abgewiesen wird, später zum Massenmörder wird!“

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Epilog
    Durch die geöffneten Fenster des Büros strich der erste laue Märzwind und brachte den Geruch von frischem Grün mit sich. Seit drei
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