Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon
Autoren: Tom Wolf
Vom Netzwerk:
unversehens in Artillerie- und Infanteriefeuer geraten waren und sich hatten retirieren müssen, wobei sie acht Geschütze einbüßten. »Verflixt!«, meinte die Königin. »Warum haben sie nicht besser aufpassen können?« Hierauf wusste der steife August keine bessere Antwort, als seine wackeren Grenadiere ein »Vivat!« ausbringen zu lassen, was anschließend unseren Weg beschleunigte, da es von allen weiteren Truppenteilen aufgegriffen wurde. Gegen neun Uhr, als wir zur Spitze auf offenem Feld weit vor Hassenhausen vorgerückt waren, kamen wir gerade im rechten Moment, wie uns deuchte – denn der ganze Zug hielt. Es wimmelte vor Offizieren, doch der Nebel war zu dick, um alle zu sehen. Ich erkannte erst nur Scharnhorst und Boyen. Dann bemerkte ich den Oberbefehlshaber, Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig. Der umständliche, langsame und feine Mann, ein grimmiger, steifer alter Onkel, der es mit List und Tücke verstanden hatte, den alleinigen Oberbefehl über die Hauptarmee an sich zu reißen, lenkte sein Pferd mit ernster Miene an unseren Wagen heran und fragte die Königin durchs Kutschfenster sehr unwillig und ungebührlich, wie mir schien: »Was tun Sie hier, Madame? Um Gottes willen, was tun denn Sie jetzt hier?« Luise war wie vor den Kopf gestoßen und äußerte, sich stets viel zu leicht durch diese staubigen Haudegen einschüchtern lassend, wie ein ertapptes kleines Mädchen: »Aber ... Herzog! Mein Mann sagte mir, dass ich nirgends sicherer sei als bei der Armee! Ich will doch zu meinen Dragonern, sie anzufeuern, dass sie mit den Dingen, die ihnen anvertraut, besser umgehen!« Der Herzog erwiderte entsetzt: »Madame! Hier bricht gleich die Hölle los! Die Batterien des Teufels können jeden Moment auf uns losgehen!« Ein Reiter tauchte auf und überragte jetzt den Herzog um Kopfeslänge. Nein, es war nicht der Teufel, den wir nach den hochschießenden Worten erwarteten, sondern der König! Luise stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Ich hatte Seine Majestät zuvor schon oft mit wankendem Gemüt erlebt, niemals jedoch in solcher seelischer Bedrückung. Mit belegter Stimme sagte Luisens geliebter Ehemann, zum Braunschweiger Herzog hinnickend: »Wenn dem so ist, dann reise bitte sofort wieder ab!« Eindringlich fragte Luise: »Aber ist dem denn so? Ich dachte, ich führe hier meine Dragoner? Was sagst denn du dazu? Du bist doch wohl der oberste unserer Heerführer!« Als handelte es sich um eine Pferdebremse, schüttelte er diesen Anwurf von sich ab, irritiert meinen Jérôme auf dem Kutschbock anblickend, dessen Gesuch, in die Armee einzutreten, er verweigert hatte, wohl weil er ihn als technischen Berater und Gesellschafter im Theater nicht verlieren wollte. »Nein, nein! Führe nicht! Braunschweig führt! Nur hier, um Truppe zu stärken. Moral zu heben. Wir ... Nun, alle meinen ... Schmettau greift eben an. Ist freilich ungewiss ... Könnte vielleicht ... eventuell ... möglicherweise ... Chauffieren meine Frau sicher zurück, Lalande! Mir Wort geben!« Seine Kiefer malmten, bissen sich fest. Er brachte keinen weiteren Ton mehr heraus, nickte Jérôme zu, senkte den Kopf dann weiter, bis sein Blick auf den eigenen blanken, blauschwarz glänzenden Stiefelschäften ruhte. Luise stieg aus und schloss ihn in die Arme, nachdem er ebenso rasch wie steif abgestiegen war. Sie wünschte ihm Glück, bestärkte ihn noch einmal darin, selbst als Feldherr den dirigierenden Stab zu übernehmen, dann stieg sie seufzend ein. Das Reiterhütchen, das sie zuletzt aufgesetzt, nahm sie wieder ab und pfefferte es auf den Kutschboden. Sie weinte. Ich wandte den Blick ab. Der Herzog draußen zeigte auf die Hügel, die sich südlich von Hassenhausen hinzogen und eben aus dem sich lichtenden Nebel emporstiegen. Ich hörte ihn sagen: »Das ist der Schlüssel. Wenn wir es mit den Augen der Vernunft betrachten: Diese Höhen mit Infanterie und Geschütz besetzen und der Sieg ist unser! Scharnhorst – reiten Sie zur Division Schmettau und sehen dort nach dem Rechten!« Er fasste seinen Generalstabschef, mit dem er in den letzten Tagen auf sehr gespanntem Fuße gestanden hatte, scharf ins Auge und fügte hinzu: »Sie haften mir für alles, was dort geschieht! Boyen, machen Sie der Division Wartensleben Beine! Sollen südlich angreifen!«
    Geistesabwesend sah Königin Luise durchs Kutschfenster hinaus, kaum dass wir wieder Fahrt aufgenommen hatten. Als sich die Armee vor uns teilte und wie ein bewegter kolorierter
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher