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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon
Autoren: Tom Wolf
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zuckender Mundwinkel sagte es mir, noch ehe er eine weitere Silbe hervorgebracht. Was hätten wir ihm dort gezeigt? Die Bromigrafie? Den transportablen Feldtelegrafen, der damals gerade vor der praktischen Erprobung bei der Truppe stand? Die Raketen? Ich musste schleunigst eingreifen, denn lieber hätte ich eigenhändig unsere Fabrik angezündet, als sie dem Feind zu übergeben. (Bei seinem kurzen Besuch in Sanssouci soll sich der Kaiser übrigens Souvenirs angeeignet haben: von einer Tabatiere sprechen einige, der Kastellan hingegen meinte, es sei ein kleines Gemälde gewesen ...) Ich fuhr dazwischen: »Eure Kaiserliche Majestät, ich falle meinem Mann nur ungern ins Wort, doch wenn er als ein Mann hier vor Ihnen steht, der das Vertrauen unseres Monarchen genießt, auch wenn er keineswegs ein Höfling ist, wie Sie möglicherweise annehmen, so betrachten Sie mich als eine Person, die – ohne Hofdame zu sein – von der Königin des freundschaftlichsten Umganges gewürdigt wird. Daher muss ich auch die Seite der Königin zur Sprache bringen und gewissermaßen eine Lanze für sie brechen, da man offenbar vergisst, dass König und Königin Seit’ an Seite in diesem Krieg gestanden und für das Wohlergehen unseres Landes gekämpft haben.« In Jérômes Gesicht konnte ich lesen wie in einem rasch aufgeblätterten Buch, in dessen Seiten der Wind spielt. Er sah meinen Hals bereits von jener Apparatur durchschnitten, von der zuvor die Rede gewesen. Er wollte mir mit flehentlichem Blicke Einhalt gebieten, doch schon sprudelte heraus, was heraus musste. Zurückhaltung mögen andere für eine Tugend halten. Ich halte Offenheit für eine größere: «Ich protestiere entschieden gegen die Art, wie Sie über unsere Königin in der Öffentlichkeit der Zeitungen und Journale haben sprechen lassen! Was schrieb das Bulletin Ihrer Armee?« Der Offizier, der neben dem Empereur unsere Parade abnahm, wollte mich packen und abführen, doch Napoleon stoppte ihn mit einem Anwinkeln seines rechten Arms, den er zu diesem Zwecke aus der Knopfleiste seiner lindgrünen Weste hervorzog. Und so fuhr ich fort. Mein Geist arbeitete so zuverlässig wie die Weltmaschine des Pastors Hahn, die wir beim Homburger Landgrafen einst gesehen. Derweil jedes beleidigende Wort aus der Dunkelheit vor mir aufleuchtete: »Die Königin ist bei der Armee als Amazone gekleidet, in der Uniform eines Dragoner-Regiments. Sie schreibt täglich zwanzig Briefe, um von allen Seiten den Brand zu schüren. Man meint Armida zu sehen, die in ihrer Verblendung den eigenen Palast anzündet. Möge sie doch lieber bei ihrem Spinnrocken bleiben und ihre Kinder aufziehen, statt bei der Garde zu paradieren! Dann werden die Noten, die Berichte und die Staatspapiere auch nicht länger so unangenehm nach Moschus riechen und unter Bändern und Spitzen und anderen Toilettegegenständen der Königin versteckt sein!« Ich fixierte den Kaiser während dieser Ansprache, als sei es das Letzte, was ich auf dem Schaffott noch zu meiner Erheiterung mir vorzaubern könnte. Ein blitzhaftes, schlagartiges Weiten der Pupille seines linken Auges nebst einer beidseitigen Vergrößerung der Augäpfel war das Einzige, was ich bemerken konnte. Auch währte es nur den Bruchteil einer Sekunde. Dann machte sich ein entspanntes Lächeln auf dem weißen Gesicht breit, welches mich unangenehm an einen rundlichen Käselaib erinnerte. Noch immer war ich nicht fertig: »Monsieur, Exzellenz, Kaiserliche Majestät! Sicher hatten Sie üble Berater, die Sie glauben machten, es seien harmlose Späße. Nennen Sie mir eine Französin, die so chic aussieht in Uniform! Man kennt keine. Ist unsere Königin deswegen eine Modepuppe? Mitnichten: Sie ist die erste Soldatin ihres Landes und verdient nicht Ihren Spott!« Ich schwieg erschöpft und musste nach Luft schnappen. Die letzten Sätze hatte ich wie unter Zwang herausgepresst. Ein paar Sterne grieselten mir im Blickfeld. Ohne richtig wahrzunehmen, wie sich meine Worte auf seinen weit aufgerissenen glasigen Augen spiegelten, konzentrierte ich mich darauf, nicht vor ihm zusammenzuklappen. Dann drang, während das Geriesel verschwand und sich mein Kreislauf wieder stabilisierte, seine durchaus gesetzte, keineswegs erregte Entgegnung an mein wieder erstarkendes Ohr: »Madame, ich sah Sie 1792 in Paris gen Himmel fahren! Seither bin ich einer Ihrer glühendsten Bewunderer. Wie Sie absprangen, mit diesem Schirm ... Eben als sie mit Ihrer Suada begannen, war es das gleiche
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