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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon
Autoren: Tom Wolf
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hatten. In der neu erbauten Familiengruft der von Kapells standen dagegen nur zwei gewaltige Sarkophage. Ich finde es seit jeher schrecklich, wenn sich Menschen schon zu Lebzeiten um ihr Grab kümmern.
    »Ich habe schon einiges gesehen, aber so etwas«, sagte Freund Heim, während wir in die kleine Gruft gingen, die von außen wie ein Gartentempel mit antikem Portal aussah, »ist mir bislang noch neu gewesen. Sehr interessant, muss ich sagen!«
    Der Anblick war absonderlich, doch ich unterdrückte mannhaft das Würgen. Mit einem Mal kam mir die ganze Abscheulichkeit der Tat zu Bewusstsein. Ich ließ die Augen auch absichtlich lange und ungerührt auf dem Kopfansatz ruhen, bis Heim die hölzerne Deckelplatte wieder an ihren Ort geschoben hatte. Durch das seitliche Fenster sah die Leiche des Herrn von Kapell nun wie die Ganzkörper-Reliquie des Heiligen Guénolé aus, den Jérôme und ich in der kleinen bretonischen Kirche von Montreuil bestaunt hatten. Hier jedoch war statt des morbiden Humors, der uns vor der juwelenbestickten kopflosen Mumie angewandelt hatte, nur blutiger, nackter Ernst.
    »Ich habe zwar noch nicht viele Kopfamputationen vorgenommen und nur wenigen beigewohnt – doch hier war ein absoluter Fachmann am Werk. Kein langes Herumgesäge, welches zwangsläufig eher eine Schlachteplatte zurücklässt, sondern ein sauberer Schnitt, ausgeführt mit einem besonders geeigneten Werkzeug. Wenn ich mir einen Guillotinierten vorstellen wollte, so wäre das von ungefähr das Bild, das mir vor Augen schwebte.«
    »Aber eine Taschenguillotine gibt es nicht, Herr Doktor!«, wandte ich ein. »Laut Bericht tippten Sie auf ein Beil. Warum?«
    Heim nickte und sagte:
    »Ein scharfes Beil, sehr richtig! Warum? Nun – ein Messer hinterlässt stets eine typische Quetschung und Stauchung des Gewebes. Hat es gar eine kleine Riefe, so überträgt sich diese als Zickzacklinie auf das durchtrennte Fleisch. Davon ist nichts zu sehen. Mit einem Messer – so gut geschärft es auch sei – ist nun aber den Sehnen und Halswirbeln, respektive Atlas und Axis als deren obersten, nicht beizukommen. Um zwischen diese wie gemauerte Backsteine aufeinanderhaftenden Wirbel zu kommen, ist eine Knochensäge verwendbar, welche freilich zweierlei typische Spuren hinterlässt: erstens das Sägemehl, eine Art klumpig verdichtetes Knochengranulat, welches entsteht, wenn sich die vom gezahnten Metallband der Säge abgeraspelten Knochenspäne beim Vor- und Zurückbewegen desselben mit Gewebeflüssigkeit und Blut vermengen und beiseite geschoben werden.«
    »Und zweitens?«, suchte ich Heim zur Fortsetzung seiner Analyse zu bewegen, da er sich offenbar in dieser nicht sehr zur Vertiefung für profane Ohren und Gehirne geeigneten Einzelheit zu verlieren beabsichtigte.
    »Die zweite Auffälligkeit beim Arbeiten mit der Säge sind die an den Wirbeln und Wirbelzwischenräumen selbst zurückbleibenden Säge- oder Schrammspuren – wellige oder raue Strukturen, je nach Sauberkeit und Gleichmäßigkeit der Führung des Blattes.«
    Ich entsann mich der zweiten auffälligen Änderung im Bericht.
    »Weil nicht genügend Blut im Sarkophag zu sehen ist, schlossen Sie ...«
    »Ganz recht«, schnitt er mir das Wort ab. »Die Abtrennung des Hauptes erfolgte nicht im Sarg. Auch in der Gruft wurden kaum Blutspuren bemerkt. Die Halsschlagader stößt jedoch viel davon aus, wie ein kleiner Springbrunnen!«
    »Wie viel Blut tritt aus, wenn man jemandem den Kopf abschlägt?«
    Heim wiegte den seinen und sagte:
    »Kommt drauf an, wie viel einer hat, wie lange das Herz noch pumpt und wie stark die Hauptschlagader bei der Abtrennung gequetscht wurde. In diesem Fall würde ich schätzen ... sauberer Schnitt, gut trainierter Krieger ohne Altersschwäche, gesunde Ernährung ... etwa ein bis drei Liter!«
    »Eine so gewaltige Menge roter Flüssigkeit muss man doch bemerken!«
    »Vielleicht hat er, der Täter, meine ich, das Blut aufgefangen?«, mutmaßte Heim.
    »Um Suppe damit einzudicken?«, fragte ich recht ungläubig.
    »Bei einem, der den Kopf mitnimmt, könnte ich mir selbst das vorstellen!«, sagte Heim.
    Bei diesen kulinarischen Erwägungen klang mir Ludwigias Beschreibung der abendlichen Route ihres Mannes in den Ohren nach: Von der Wurstküche und der Schlachtbank war da die Rede gewesen.
    »Ich glaube, gleich wissen wir, wo es geschehen ist!«, prophezeihte ich und bat Heim, mir zu folgen.
    Der Großknecht zeigte uns beiden – und auch Jérôme, der inzwischen von
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