Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon
Autoren: Tom Wolf
Vom Netzwerk:
neben der Hauskapelle habe gehen hören. Es sei dies ein ihr vertrauter Laut gewesen, da dieses eiserne Tor stets wieder angefangen habe, in den Angeln zu quietschen, auch wenn man es noch so öle (etc. etc.). Da ihr dies vom Rundgang des Gutsherrn herzurühren schien, da es jeden Abend zu hören, habe sie dem keine Bedeutung beigemessen und sich zu Bett begeben. Gegen 10 Uhr sei sie noch einmal aufgeschreckt, da sich das Tor wieder hörbar gemacht habe, was jedoch nur habe bedeuten können, dass der Hausherr sich zu einer Andacht so lange in der Hauskapelle aufgehalten, was des Öfteren vorgekommen, also nicht weiter bedenklich gewesen sei. In der Nacht habe sie unruhig geschlafen und mehrstenteils die frechen Katzen sich an den Blumentöpfen am Schuppen vergehen gehört (etc. etc., es folgen causae ignobiliae).
    ( 4 ) Sagt aus, er sei bei einer Flasche Wein noch bis weit nach Mitternacht gesessen, habe im Novalis gelesen und wechselweise ins Buch und in die Nacht hinausgestarrt (sic!). Da sein Fenster aufs Dach gehe, habe er von etwaigen Vorgängen unten am Kirchhof nichts gesehen. Er sei indes gegen Viertel vor 10 zum Abtritt geschlichen, wobei er aus der Hauskapelle eine laut klagende Stimme gehört, was ihm keineswegs seltsam erschienen, da der Gutsherr ein sehr gottesfürchtiger Mann gewesen, der sich des Öfteren spätnachts, wenn es keinen mehr gestört hätte, in besagter Hauskapelle mit den Ahnen unterhalten oder sich der eigenen Verfehlungen angeklagt habe. Auf die Frage, welche Verfehlungen dies gewesen, sagte 4 , er habe so genau nie hingehört, wenn er dergleichen zufällig wahrgenommen. Auch 1 , hierzu nochmals befragt, wollte nur wissen, dass er sich der Taten in den Kriegen vor Gott geschämt, weshalb er nie sehr ausführlich darüber gesprochen.
    ( 5 ) Sagt aus, er habe bei seinem Weibe geschlafen und in dessen Folge die Nacht ruhig und ohne Störung zugebracht.
    ( 6 ) Sagt aus, er sei nach 8 Uhr, da ihm der Herr für den Abend freigegeben, in den Heidekrug zwischen Deetz und Kanzow gegangen, wo er bis zur Sperrstunde das Trinkgeld vertrunken (sic!), mit welchem ihn sein Herr nach der Fahrt nach Berlin zum Plamann’schen Garten am Vortage belohnt. Er sei im Heidekrug mit dem Fährmann Gomms zusammen gewesen, der auch nach Verlassen desselben nach der Sperrstunde um 10 Uhr noch eine Weile neben ihm hergelaufen, sich dann aber, infolge starker Trunkenheit, an der Abzweigung zu seiner Hütte (etwa da, wo auch der Weg auf die Götzer Berge hinführt), habe an einen Baum gelehnt, um ausruhen zu können. Nach der Verabschiedung des Gomms (der sich trotz der Kälte vehement dagegen gewehrt, dass ihn 6 habe zu seiner Hütte begleiten wollen, wohl wegen seines dort schlafenden und auf ihn zornigen, sehr schönen! Weibes) sei 6 allein weitergelaufen – nicht ohne dem Gomms gegen die Kälte noch seine Jacke gelassen zu haben. Wenig später, so gibt er an, hätte er einen Reiter von der Gutshofstraße her kommen hören. Beim ersten Hufgetrappel schon sei er in den dort sehr tiefen und unten vereisten Graben gesprungen und hätte sich übel den Fußknöchel verstaucht. Da er fürchtete, es sei eine Polizeistreife und er wegen bereits mehrmaligen (sic!) nächtlichen Aufgreifungen auf dieser Strecke eine erneuerte nicht habe provozieren wollen, sei er erst wieder emporgetaucht, als der Reiter schon vorüber gewesen sei. Er habe ihn daher nur von hinten gesehen und verärgert bemerkt, dass dieser schwarze Uniform mit Tschako und einen Leinensack über die Schulter geworfen trug, in dem der Form nach wohl ein geschlachtet Huhn gelegen, das ihn tüchtig durchgeblutet. Die Zeit dieser Begegnung konnte er nur vage als zwischen 10 und 11 Uhr des Nachts angeben.
    Verantwortlich für das Protokoll: Kriminalassistent Ludwig von Helmbrecht; für den Polizeipräsidenten Karl Justus Gruner gesehen und abgezeichnet: Direktor designatus in Kriminal-Polizei-Sachen, Dietrich Karl von Schlechtendal

5
    Die neue Freundin – unter so tragischen Vorbedingungen gewonnen – hatte mir schluchzend, bevor ich sie für den Moment ihrem schrecklichen Schicksal überlassen musste, von der schlimmsten Furcht ihres Gatten berichtet, die darin bestand, man könne ihn lebend beerdigen. Er traf beizeiten Vorkehrungen, die es ihm ermöglichen sollten, sich entweder selbst zu befreien oder sich – im Falle einer Lähmung seiner Gliedmaßen – den von außen kontrollierenden Dienern bemerkbar zu machen. Hierzu hatte er die Scheibe in den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher