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Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon
Autoren: Tom Wolf
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Güte in Person. Ein Mann, der sich für Literatur begeistert! In Neuenburg bei der Charrière – die Größen der Aufklärung gingen bei ihr ein und aus! Und mein Karl August mitten unter ihnen: Er hat die Literatur geschätzt und sich in Pontet mit vielen Gleichgesinnten dafür eingesetzt, dass nur die Besten weiterkamen.«
    Ich hörte all dies wie in Trance, begierig, endlich herauszufinden, was geschehen war. Solange die Polizei vor Ort war, blieben mir die Hände gebunden. Alles was ich vorderhand erfahren konnte, musste mir die aufgelöste Witwe erzählen.
    »Litt Ihr Gatte noch sehr an seinen Verletzungen?«, fragte ich auf gut Glück.
    Sie nickte, ohne auf Einzelheiten einzugehen. Ich wusste ja nur, dass er als Schill’scher Jäger gekämpft hatte und als solcher in Stralsund verwundet worden war.
    »Haben ihn Kameraden besucht? Hat überhaupt einer aus Kriegszeiten den Weg hierher gefunden?«
    Für das Wort überhaupt hätte ich mich in die Hand beißen mögen vor Scham, denn auch hier hatte das Haupt sich eingeschlichen, doch es fiel nur mir selbst als unangemessen auf.
    »Wohl ... der Marwitz war zweimal da. Auch der ältere Lützow. Gneisenau ... Und Scharnhorst. Ach, ich glaube auch Blücher. Ach ja natürlich: Wilhelm von Lützow. Sie kamen gemeinsam auf abenteuerlichem Wege zurück. Mit Lützow stand er vor dem Kriegsgericht. Er bekam sechs Monate Spandau. Wegen seiner Verletzung jedoch wurde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Er war gestraft genug durch die Tatsache, dass er nie mehr in den Krieg hätte ziehen können. Sein linker Arm hing herab und schwang wie das Perpendikel einer Standuhr.«
    Ich entsann mich der politischen Ambitionen ihres Mannes und setzte nach:
    »War Ihr Mann nicht Wortführer der Großgrundbesitzer? « Ihre Augen schwammen in Tränen, weil ich war gesagt hatte ... Ich schloss sie in meine Arme.
    »Oh Himmel, das ist wirklich zu viel! Bitte, meine Liebe – lassen Sie mich einfach eine gute Nachbarin sein und sehen Sie mir meine dumme Fragerei nach. Ich war nicht ganz bei Trost, mich hier so aufzuführen, als sei ich bei der Polizei ... Die Fragerei haben Sie ja gerade glücklich hinter sich gebracht.«
    Sie fasste mich in seltsamer Vertraulichkeit beim Arm und sagte mit wiedererlangter Festigkeit:
    »Er war weiß Gott kein Gegner der Reformen! Er fürchtete nur, dass sie im Ergebnis den Befreiten noch größere Unfreiheit brächten. Er fühlte sich verantwortlich für seine Bauern, wie Sie sich verantwortlich fühlen für Ihre Arbeiter! Er hat als Landmarschall der havelländischen Stände Front gegen Stein gemacht, das stimmt. Er stand Plamann und der Lehrerschaft seiner Pestalozzi’schen Realschule in der Wilhelmstraße 139 näher als Humboldt. Aber hat man ihm deswegen den Kopf ...«
    Ihre Augen wurden zu Quellen der Verzweiflung. Ich hatte sie ans Herz gedrückt und spürte, dass die körperliche Nähe ihr guttat. Die Trauerkleidung schien es ihr leichter zu machen, eine Berührung zuzulassen. Der Tod hatte binnen Stundenfrist eine Vertrautheit zwischen uns geschaffen, die das Leben bislang in Jahren nicht zuwege gebracht.
    »Wollen Sie ... wollen wir nicht ... Sollen wir du zueinander ... Wie wäre es, wenn ...«
    Sie war nicht in der Lage, den Gedanken ganz auszusprechen.
    »Aber natürlich, meine Liebe! Ich bin die Ältere von uns beiden, ich hätte es schon längst anbieten müssen! Sie ... du ... Lass uns, liebe Freundin ... Machen wir es uns nicht schwerer, als es ist: Sagen wir du zueinander!«
    »Das Schöne daran ist vor allem«, sagte sie, die Flasche hervorzaubernd, die sie aus des Großknechts Schrank genommen, »dass wir auf das du anstoßen und Bruderschaft trinken können!«
    »Schwesternschaft!«, sagte ich.
    »Schwesternschaft!«, stimmte sie ein, für einen langen Moment vergessend, was geschehen war, und fragte mit ungespieltem, indes vom Schnaps genährtem Erstaunen: »Musste ich erst meinen geliebten Ehemann verlieren, um dich zur Freundin zu gewinnen?«
    Der Diener machte sich bemerkbar und meldete den Adjutanten des designierten Kriminaldirektors, Herrn von Helmbrecht, welcher die Beendigung der Untersuchung verkündete und der Dame des Hauses das Protokoll mit ihrer und allen Aussagen der Bedienten zur Abzeichnung vorlegte.
    Ludwigia setzte sich mit mir und den Papieren in die Halle und bat den Herrn von Helmbrecht, draußen zu warten. Er begab sich, ohne zu zögern, wieder hinaus in die Kälte. Ich glaube, von Schlechtendal hatte ihn so
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