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Das Sonnentau-Kind

Das Sonnentau-Kind

Titel: Das Sonnentau-Kind
Autoren: Sandra Luepkes
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Waschen mit dem Gästeklo zufriedengab. Wenn sie erfahren würde, wie die Kindermädchen und -jungen auf dem Heiliger-Hof untergebracht waren, würde sie vielleicht die Koffer packen. Schließlich war hier soeben eine Stelle frei geworden.
    «Wohnen alle Ihre Angestellten so?», fragte Wencke den Hausherrn, der schweigend aus dem Fenster zum Hof hinunterschaute.
    Helliger schien über diese Frage verwundert. «So viele Angestellte haben wir privat eigentlich nicht. Nur Holländer, aber er hat eine Wohnung in Aurich, und Mandy, die aus Sachsen-Anhalt stammt und Hauswirtschafterin ist, und unsere Au-pairs. Und da wir ja genügend Platz haben …»
    «Dann stimmt es also, dass Sie mit der ostfriesischen Erde ein Vermögen gemacht haben, von dem Sie jetzt noch profitieren?»
    «Wie kommen Sie darauf?»
    «Eine Dienstmagd, ein Hofknecht, eine männliche Gouvernante …» Wencke wusste, mit ihrer schnippischen Art machte sie sich manchmal unbeliebt, doch der Mann schaute gelassen, schien sich in diesem Fall eher zu amüsieren. «Immerhin nennt man Sie den Moorkönig. »
    «Wer tut das?»
    «Die Moordorfer.»
    Sebastian Helliger lachte. «Mit diesem Vorurteil hatte schon mein Vater zu kämpfen, und ich denke, mein Großvater auch. Nein, richtig reich sind wir nicht, waren wir auch noch nie.»
    «Nur im Vergleich zu den Nachbarn …»
    «Das mag eine Rolle spielen. Früher einmal hatten die Familien jeder einen Streifen Land, oft nur fünfzig Meter breit, auf dem sie ihren Torf stechen konnten. Dies deckte den Eigenbedarf, und einen Teil konnte man noch an eine Art Zwischenhändler, wie mein Großvater einer war, veräußern.»
    «Das hört sich doch gut an.»
    «Na ja, aber seit Mitte des vorigen Jahrhunderts wird Torf als Energielieferant nicht mehr eingesetzt. Mein Vater hat nach und nach die Ländereien auf Erbpacht von den Bauern übernommen und sich so ein beträchtliches Stück Land angeeignet. Und da Grundbesitz hier in Gold aufgewogen wird, gelten wir Helligers als steinreich, auch wenn der Ertrag zu wünschen übrig lässt. Torf braucht viele Jahrtausende Reife. Und wir haben hier in der Umgebung nicht mehr viel davon übrig gelassen.»
    «Und womit halten Sie hier das ganze Anwesen über Wasser?»
    «Ich habe meinen Betrieb modernisiert. Ich bin in die Verarbeitung von Biomüll eingestiegen, importiere teilweise Torf aus Russland oder von der niederländischen Grenze. Daraus machen wir in unserem Werk in Großheide beste Blumenerde.»
    «Dann sind Sie also im Grunde genommen gar kein echter Moorkönig mehr?»
    «Nein, eher ein Kompostkönig. Aber wer will schon so heißen?»
    Wencke lachte kurz, bis sie merkte, dass Helliger den letzten Satz überhaupt nicht als Witz gedacht hatte. Er reichte ihr eine Visitenkarte, auf der neben dem Schriftzug « Helligers Kompostierwerke» ein schwarzer Klecks und eine daraus wachsende Blume zu erkennen waren.
    In der Mitte des Zimmers stand ein gepackter Koffer. Er war braun und hatte etliche Macken auf dem zerschlissenen Leder. Am Henkel baumelte ein Schild, Wencke nahm es in die Hand und versuchte, die krakeligen Großbuchstaben zu entziffern. AUREL PASAT, STR. LACULUI 21, ARAD, ROMANIA, daneben eine Zahlenfolge, die man für eine Telefonnummer halten konnte.
    «Haben Sie Kontakt zu Aurels Familie? Wir müssen sie schließlich irgendwie benachrichtigen.»
    Helliger dachte nur kurz nach. «Er hat uns nie etwas über seine Eltern erzählt. Wir vermuten, dass sie entweder tot sind oder ihn fortgegeben haben. In Rumänien ist alles anders, müssen Sie wissen. Nichts lässt sich mit den Zuständen in Deutschland vergleichen.»
    «Das klingt so, als hätten sie das Land schon einmal selbst besucht.»
    «Ja, nicht nur einmal. Unsere Kinder stammen von dort, müssen Sie wissen. Meine Frau hatte vor Jahren eine schwere Operation, sie kann keine eigenen Kinder bekommen, deswegen haben wir Thorben und Henrike adoptiert, als sie knapp ein Jahr alt waren. Wir haben sie aus einem Kinderheim in Cluj-Napoca in Transsilvanien geholt.»
    «Draculas Heimat?», entfuhr es Wencke.
    «Ja, und auch wenn es sich bei den Vampirgeschichten um verklärte Schauermärchen handeln mag, die Zustände in diesem Ort sind teilweise tatsächlich ein Horror. Und glauben Sie mir, wenn Sie Heimkinder in Rumänien gesehen haben, dann schätzen Sie sich froh, in Deutschland geboren worden zu sein.»
    Wencke hatte schon einmal einen Bericht im Fernsehen gesehen: Straßenkinder in Bukarest, Klebstoff in Plastiktüten,
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