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Das Sonnentau-Kind

Das Sonnentau-Kind

Titel: Das Sonnentau-Kind
Autoren: Sandra Luepkes
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es so scheinen, ja. Für mich und meine Familie ist es jedoch einfach nur unser Zuhause, in dem wir uns sehr wohlfühlen.» Das Lächeln, welches sich die ganze Zeit auf seinem Gesicht gezeigt hatte, fiel mit einem Mal in sich zusammen. «Bis heute … fürchte ich.»
    «Wegen des Toten?»
    Sebastian Helliger nickte betroffen. «Setzen wir uns doch.»
    Wencke nahm auf dem Zweisitzer Platz. «Sie haben uns heute Morgen den Leichenfund gemeldet. Kannten Sie den Toten?»
    «Ja, er war sozusagen ein Teil der Familie.»
    Wencke erinnerte sich an den dunklen Teint des Jungen und konnte sich nicht vorstellen, dass der blonde, etwas blasse Sebastian Helliger von Blutsverwandtschaft sprach. «Ein Angestellter?»
    «Nein, er hat seit einem Jahr als Au-pair-Junge bei uns gearbeitet.»
    «Ach!», sagte Wencke.
    «Aurel Pasat aus Rumänien. Ein wunderbarer junger Mann. Unsere Kinder liebten ihn. Ich weiß gar nicht, wie ich den Kleinen das erklären soll.»
    «Wo sind Ihre Kinder jetzt?»
    «Mit meiner Frau ein paar Tage auf Spiekeroog. Wir haben dort ein Haus. Durch den Maifeiertag hat man ein verlängertes Wochenende, da haben die drei ihre Sachen gepackt. Ein paar Tage ausspannen. Meine Frau ist Künstlerin …»
    «Ich weiß, ich habe ihre Skulpturen gesehen.»
    «Nächste Woche eröffnet sie eine Ausstellung im Moormuseum, in den kommenden Tagen hat sie alle Hände voll mit den Vorbereitungen zu tun. Also kam ein Kurzurlaub auf der Insel vor dem Stress nochmal ganz gelegen. Heute Abend kommen die drei wieder.»
    «Weiß ihre Frau schon …»
    Er schüttelte den Kopf. «Annegret wird außer sich sein. Sie liebte Aurel wie einen eigenen Sohn.»
    Die Tür wurde geöffnet, und ein junges Mädchen kam mit einem Tablett herein, auf dem das klassische Rosenservice, ein Stövchen, Kluntjes und Sahne standen. Auch das zartgelbe Teegebäck auf dem Porzellanteller fehlte nicht. Sie stellte alles schweigend auf den Tisch, goss den Tee ein, und Wencke bemerkte, dass sie verweint aussah. Natürlich, sie hatte bereits von dem Toten gehört, und wenn er in diesem Haus für die Kinderbetreuung zuständig gewesen war, waren sie sich sicher einige Male über den Weg gelaufen. Wencke nahm sich vor, die traurige Dienstmagd später noch aufzusuchen.
    Sebastian Helliger berührte leicht den zitternden Unterarm des Mädchens. «Vielen Dank, Mandy! Nehmen Sie sich frei bis zum Abendessen, ruhen Sie sich etwas aus.»
    Sie lächelte leicht und verließ das Zimmer, ohne ein Wort gesagt zu haben.
    Wencke nahm einen Schluck Tee. «Wann haben Sie Ihren Au-pair-Jungen – wie war doch gleich sein Name …?»
    «Aurel.»
    «Wann haben Sie Aurel zum letzten Mal gesehen? Haben Sie ihn nicht vermisst?»
    «Gestern Abend war er auf dem Hof. Er hat sich sein Mountainbike geschnappt und ist weggefahren. Ich habe ihn nicht gefragt, wohin.» Helliger seufzte und schüttelte ungläubig den Kopf. «Es waren seine letzten Tage hier. Wie schnell so ein Jahr vergehen kann, da staune ich immer wieder. Und da meine Familie ja einen Kurzurlaub macht, habe ich Aurel frei gegeben, damit er seine Koffer packen und sich von Freunden verabschieden konnte. Heute Abend wollten wir eine kleine Abschiedsparty geben, und morgen wäre er wieder nach Bukarest geflogen.»
    «Und dann haben Sie ihn heute früh im Scheunenlager gefunden?»
    «Ja.»
    «Und Sie haben auch den Strick durchtrennt?»
    Helliger schaute fast hektisch auf. «War das ein Fehler? Habe ich Beweise vernichtet?»
    «Nun …»
    Er hob abwehrend die Arme. «Das geschah instinktiv, ich habe nicht darüber nachgedacht. Wissen Sie, er sah irgendwie noch so … so lebendig aus. Ich hatte gehofft, ihn retten zu können.»
    «Es ist schon okay», beruhigte Wencke ihn. «Wir kennen das. Im Grunde haben Sie richtig gehandelt. Sie konnten ja nicht wissen, dass er wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Stunden tot war.»
    «Es ist in der Nacht passiert?»
    «Die Spurensicherung überprüft alles, der Rechtsmediziner wird uns heute Abend Näheres dazu sagen.»
    Helliger ließ seine Stirn in die Hände sinken. «O mein Gott, Aurel, warum hast du das getan?»
    Wencke befürchtete, der Mann könnte jeden Moment in Tränen ausbrechen. Sie hasste weinende Zeugen, denn diese brachten Ermittlungen keinen Schritt voran und waren zudem nur schwer zu ertragen. Sie machten es ihr als Polizistin schwer, einen kühlen Kopf zu bewahren und die Tragik des Ganzen auszublenden. Ihre Erfahrung hatte sie gelehrt, dass man einen solchen
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