Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Sonnenblumenfeld

Das Sonnenblumenfeld

Titel: Das Sonnenblumenfeld
Autoren: Andrej Longo
Vom Netzwerk:
Zimmer.
    »Hast du gehört, Prufessò?«, rief Dummenico, »wir haben doch was Gutes getan.« Und er redete weiter, weil er neue Hoffnung geschöpft hatte.
     
    Er redete eine Stunde, vielleicht auch zwei.
    Dann überkam ihn mit einem Schlag die Gewissheit, dass es keine Hoffnung mehr gab. Er wurde todtraurig, ihm kamen die Tränen. Aber er wollte das nicht vor dem Freund tun, deshalb verbarg er sich auf der Toilette und machte seinem Schmerz Luft, der ihn erstickte.
    Dann brauchte er frische Luft. Er stieg er ins oberste Stockwerk des Krankenhauses, auf die mit Blumen bepflanzte Terrasse. Er steckte sich eine Zigarette an und schaute auf den Horizont, dort, wo die Felder den Muntagnone erreichten.
    Er starrte auf das Blau des Himmels und rauchte
seine Zigarette, seine Gedanken kreisten, ohne Hoffnung stand er da, ratlos, was zu tun war, und in diesem Moment entdeckte er etwas am Himmel. Erst sah er nicht, was es war, weil ihn die Sonne blendete.
    Er kniff die Augen zusammen und beschirmte sie mit der Hand … ein Sperber!
    Mit ausgebreiteten Flügeln schwebte er von oben herab, kreisend, die Luftströmung suchend. Dann stieg er wieder auf, segelte erneut herab und stieg wieder auf. Und kam immer näher.
    So tanzte der Sperber am Himmel, eine kleine Ewigkeit lang, immer näher kreiste er, bis er schließlich herabsegelte und auf dem Geländer der Terrasse landete, drei Meter von Dummenico entfernt.
    Dort saß er und starrte Dummenico mit seinen engstehenden Augen an, die wie Stecknadelköpfe aussahen, rot vom Blut des Lebens.
    So blieb er eine Minute lang sitzen.
    Dann stieß er einen Schrei aus, stieg wieder auf und verschwand in den Reflexen der Sonne.
    Dummenico spürte, wie ihm ein Schauer über den Rücken lief.
    Er dachte, der Sperber sei gekommen, um seinen Freund zu holen, und er rannte von der Terrasse ins Treppenhaus, nahm immer mehrere Stufen auf einmal und hätte sich in der Hast beinahe das Genick gebrochen.
    So kam er am Zimmer an, nass vor Schweiß, mit klopfendem Herzen und zugeschnürter Kehle. Er atmete tief durch.
    Dann ging er rein.
    »Mimmù, du auch hier?«, fragte der Professor, der versuchte, sich die Schläuche herauszureißen, um aus dem Bett zu steigen.
    »Prufessò … Prufessò …«
    »Mimmù, was is' los? Du bist ja leichenblass. Schon wieder das Herz?«
    »Prufessò …«
    »Ich glaub, du solltest mal 'n Kardiogramm machen lassen.«
    »Prufessò …«
    »Mè, jetzt reicht's, Mimmù … warum flennst du denn?«
    Dummenico warf sich auf das Bett und umarmte den Freund.
    »Mimmù … was ist denn mit dir los?«
    Dummenico lachte und weinte gleichzeitig. Er rannte im Zimmer herum, rief nach den Krankenschwestern und Ärzten. Und lachte wieder.
    »Mimmù, bist du verrückt geworden?«
    »Prufessò, geht es dir wirklich gut?«
    »Ja, mir geht's gut, aber was war denn los, erzähl doch mal.«
    »Ein Wunder, Prufessò …«
    »Na gut, wenn du dich beruhigt hast, kannst du mir
dein Wunder erklären. Hauptsache, die Tasche ist in Sicherheit.«
    »Welche Tasche, Prufessò?«
    »Bist du total bescheuert, Mimmù? Die Tasche! Die mit dem Geld! Wo hast du die hingetan?«

Jenseits der Dritten Welt
    Dummenico brauchte einen halben Tag, um das Sonnenblumenfeld wiederzufinden. Hinter dem Muntagnone ging die Sonne unter, und die Blumen neigten ihre Köpfe in seine Richtung, um den letzten Rest Licht zu erhaschen, bevor sie sich zur Ruhe legten.
    Dummenico ging durch das Feld zum Cuzzolara-Teich.
    Der Lieferwagen stand noch da, verborgen im Schilf, genau dort, wo der Professor ihn vermutet hatte. Es war, als hätte er auf ihn gewartet.
    Dummenico schaute sich um, er wollte sichergehen, dass niemand ihn beobachtete. Dann öffnete er die Tür und schob die Hand unter den Sitz.
    Die Tasche war nicht da.
    Er spürte, wie sein Hemd schweißnass wurde, und schob die Hand tiefer unter den Sitz.
    Nichts. Er fand sie nicht.
    Er tastete und streckte den Arm, bis er beinahe abfiel. Er legte sich sogar zwischen die Sitze, um nachzusehen.
    Doch sosehr er auch suchte und wühlte und alle Dorfheiligen anflehte, die Tasche mit dem Geld blieb verschwunden.
     
    »Wenn wir wenigstens wüssten, wer es geklaut hat«, sagte der Professor.
    Sie saßen im Hof vor Dummenicos Haus. Der Professor auf einem Korbsessel, er erholte sich von seiner Operation. Dummenico, der Zichorien für Rosetta putzte, auf einem Hocker.
    Die Sonne war heiß, immer noch, und der Himmel verschleiert von hohen Federwolken.
    »Was willst du
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher