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Das Sonnenblumenfeld

Das Sonnenblumenfeld

Titel: Das Sonnenblumenfeld
Autoren: Andrej Longo
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Caterina die Pizzica mitten in dem Platzregen, der sich vom Himmel ergoss. Und er mit ihr. Wie die Pizzicari beim Fest von Santu Vito.
    Sie tanzten. Die Füße im Sand, ihre Arme, die sich streiften.
    Sie tanzten. Die Augen fest aufeinandergerichtet, ihre Hände, die sich berührten.
    Sie tanzten. Und zwischen Schweiß und Regentropfen fanden sich einen Augenblick lang ihre Lippen. Der erste Kuss. Wer vergaß den je?
    »Warum läufst du weg?«, hatte Lorenzo ihr nachgerufen.
    »Es ist schon spät«, hatte Caterina geantwortet, zitternd wie Espenlaub.
    »Sehen wir uns nächsten Sonntag?«
    »Am Meer können wir uns nicht mehr sehen, wir reisen ab, zurück ins Dorf«, antwortete sie und zog sich das T-Shirt über.
    »Wann dann?«
    Sie war schweigend zum Fahrrad gestapft.
    »Wann sehen wir uns?«, hatte Lorenzo noch einmal gefragt.
    Sie hatte ihn angelächelt, dann war sie losgeradelt.
    »Caterina!«, hatte er gerufen und war ihr nachgelaufen.
    Caterina warf ihm mit den Fingerspitzen einen Kuss zu und fuhr durch den strömenden Regen davon.
     
    Lorenzo war benommen. Wein hatte er getrunken, das war er nicht gewöhnt, er war ihm zu Kopf gestiegen, und dazu die Hitze. Er lag zwischen den Sonnenblumen, die sich im Wind wiegten. Seit einer Stunde schon. Unruhig war er. Der Kopf schwirrte ihm. Er hatte Angst.
    Angst wovor?
    Er wusste es nicht.
    Wein hatte er getrunken. Aber doch nur ein Glas. Davon schwirrte einem nicht der Kopf.
    Was war los? Was war in dem Wein gewesen?
    Lorè, was ist das für eine Geschichte?
    Lorè, was tust du da?
    Lorè, bist du sicher?
    Und der Kopf schwirrte ihm.
    Zum Teufel mit dem Fest von Santu Vito. Zum Teufel mit der Pizzica. Zum Teufel mit dem Wein, den sie ihm eingeflößt hatten, um ihn reinzulegen.

Unterdessen
    Auf der Landstraße.
    In einem der Lastwagen, die dicht aufeinander folgten.
    In der schweißtreibenden Hitze des Tages.
    Während die Sonne langsam hinter dem Muntagnone unterging.
    »Mè, Prufessò, hab ich nicht gesagt, dass man für so was kein Studium braucht?«
    »Fahr schon, Mimmù, pass auf die Straße auf.«
    »Dreißig Riesen für jeden, Prufessò. Mindestens.«
    »Hör auf zu quatschen, das ist zu heiß, fahr einfach.«
    »Was soll die Panik, Prufessò? Wir haben's geschafft.«
    »Du schwatzt zu viel.«
    »Und du machst dir zu viel Sorgen.«
    »Hoffen wir's.«
    »Ach Quatsch. Wir sind auf Jahre fein raus.«
    Dummenico saß mit der Zigarette im Mund am Steuer, fröhlich und zufrieden. Er dachte an seine Kleinen zu Hause, fast war ihm selbst zumute wie einem kleinen Jungen. Endlich wieder aufatmen.
    Der Professor hingegen machte sich Sorgen. Er traute dem Frieden nicht. Ihm kam das alles zu einfach vor. Er war von Natur aus skeptisch. Außerdem beunruhigte ihn etwas. Dieser Lärm, den er nicht ein
ordnen konnte. Mal schien er weit weg, dann wieder ganz nah. Dann war er plötzlich wieder weit weg.
    »Was ist das für ein Lärm? Hörst du das?«
    »Was is' los mit dir, Prufessò? Willst du 'ne Kippe?«
    Aber das Geräusch gefiel dem Professor nicht. Schon verfluchte er sich, diesen Quatsch mitgemacht zu haben. Schon verfluchte er den Schrecken, der ihm von nun an jedes Mal in die Glieder fahren würde, wenn das Telefon klingelte. Wenn es an der Tür klopfte. Den Schlaf, der nicht mehr kommen würde.
    Und das alles für ein bisschen Geld? Dann lieber kein Geld als diese Qualen.
    Aber jetzt war es zu spät, die Dummheit war passiert.
    »Sag schon, Prufessò, was machst du mit deiner Kohle?«
    »Beruhigungstabletten kaufen, Mimmù.«
    »Mè, Prufessò, du bist wirklich der totale Pessimist.«
    Der Professor antwortete nicht. Das Geräusch ging ihm nicht aus dem Kopf. Jetzt kam es näher. Er kurbelte das Fenster runter und steckte den Kopf raus, schaute umher, sah aber nur Olivenbäume. Er drehte sich nach hinten, aber da war bloß die endlose Schlange von Lastwagen. Vor ihnen ging die Sonne unter.
    Nichts.
    Einbildung.
    Panisch wie ein altes Weib war er.
    Dann kam er darauf, nach oben zu schauen.
    Und sah ihn.
    Und verfluchte sämtliche Dorfheilige.
    Hatte er doch gewusst, dass Dummenico zu viel schwatzte. Was für ein wunderbarer Einfall! Dass sie wirklich geglaubt hatten, dem Schicksal ein Schnippchen schlagen zu können. Jetzt waren sie dran, wie die Nutten. Verdammte Scheiße. Heilige, untröstliche Jungfrau und Gottesmutter Maria!
    Er versuchte, sich irgendwie am Riemen zu reißen, und trocknete sich den Schweiß ab, der ihm über die Stirn rann.
    »Prufessò, was ist –
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