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Das Sonnenblumenfeld

Das Sonnenblumenfeld

Titel: Das Sonnenblumenfeld
Autoren: Andrej Longo
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Schuster war, aber auch der beste Akkordeon-Spieler der umliegenden Dörfer, vom Muntagnone bis hinab ans Meer – wie sein Großvater hatte Lorenzo die Musik im Blut. Mit Musik konnte er sprechen.
    »Du kommst heute mit zur Party vom Bürgermeister«, hatte der Großvater am Morgen gesagt.
    »Was hat ein Schuster da zu suchen«, wollte Lorenzo wissen. Keine unberechtigte Frage.
    »Mit Geld kannst du alles kaufen, nur Begabung nicht«, hatte ihm der Großvater erklärt.
    Also war Lorenzo auf die Party von Caetano Corona gegangen. Weiß gekleidet, die Tammorra in der Hand und glücklich, das erste Mal vor Publikum zu spielen.
    Er stand auf der Bühne und wartete auf seinen Einsatz – und dann sah er Caterina. Ihre schwarze Mähne. Ihr Lächeln, weiß wie die Häuser, die in der Glut der Sonne glänzten.
    Und er sah Fellone, der wie üblich um sie herumschwirrte. Ihr ein Glas Minzwasser brachte. Die Hand auf ihre Schulter legte.
    Der irgendwas zu ihr sagte.
    Und sie, die lachte.
    Plötzlich überfielen ihn Höllenqualen. Nur noch weg wollte er, nicht mehr sehen müssen, was er sah.
    »Spiel, Lorè«, hatte der Großvater gesagt, »spiel, die Tammorra ist dran.«
    Nichts.
    Als ob er taub wäre.
    Er konnte den Blick nicht von ihr wenden.
    Bis irgendwann, keiner weiß, warum und wie, Caterinas Blick seinen traf. Und sie lächelte. Da war Lorenzo aufgewacht und hatte die Tammorra geschlagen. Am Anfang etwas unsicher, dann immer bestimmter. Schließlich begann er, sich zu bewegen und zu tanzen.
    Und als er sah, dass Caterina ihn anstarrte, schlug er sie noch fester.
    Als er sah, dass sie verzaubert war, tanzte er schneller.
    Er tanzte und schlug die Tammorra eine ganze Stunde lang.
    Wie in Trance.
     
    Fellone musste sie schütteln, weil sie nicht antwortete.
    »Was ist?«, fragte Caterina kurz angebunden, als sie endlich bemerkte, dass jemand an ihrem Arm zerrte.
    »Komm, wir tanzen«, sagte Fellone.
    Ziemlich nervös, weil die Musik sie so in ihren Bann schlug und sie ihn gar nicht beachtete.
    »Keine Lust«, antwortete Caterina.
    »Warum?«
    »Darum.«
    »Was gibt's eigentlich auf der Bühne zu sehen?«
    »Kapierst du eh nicht.«
    Den Ton war Fellone nicht gewohnt.
    Er packte sie am Handgelenk.
    »Das reicht!«
    »Lass mich!«
    Mit einem Ruck hatte sie sich losgerissen.
    Fellone hatte mit dem Finger auf sie gezeigt und etwas sagen wollen. Aber in diesem Augenblick trugen sie die Geburtstagstorte für Caetano Corona rein,
eine Torte so groß wie das Portal der Kirche von Santu Vito Liberatore. Die Musik verstummte, und alle versuchten, zur Torte zu kommen; und wie die Strömung eines Flusses Zweige wegträgt, so rissen die Gäste Fellone mit. Er schrie etwas Unverständliches, mit erhobenem Zeigefinger und wütendem Gesicht.
    Caterina aber hatte sich gegen die Mauer gedrückt. Zentimeter um Zentimeter stemmte sie sich gegen den Strom der Gäste und gelangte schließlich hinter die Bühne. Sie winkte Lorenzo, winkte ihn zu sich.
    Und er kam.
    Verschwitzt.
    Atemlos vom Tanzen und vor Aufregung, dass sie vor ihm stand.
    »Du schlägst die Tammorra gut.«
    »Danke«, sagte er und wurde rot.
    »Wie heißt du?«
    »Lorenzo.«
    »Ich heiße Caterina.«
    »Seit September weiß ich, wie du heißt«, sagte Lorenzo.
    Caterina musste lächeln.
    Und während sie lächelte, stieg auch ihr die Röte ins Gesicht.

Caterina und Lorenzo
    Nachdem sie sich kennengelernt hatten
    Sonntagmorgens um neun stieg Lorenzo in den Bus nach Roccelle und setzte sich nach vorn. Er schaute gern aus dem Fenster, während der Bus aus dem Dorf die Serpentinen des Muntagnone hinaufkroch. Waren sie am höchsten Punkt und die Luft nicht zu diesig von der Hitze, konnte er das Blau des Meeres in der Ferne bewundern.
    Der Platz ganz vorn gefiel Lorenzo vor allem deshalb, weil er Caterina sehen konnte, bevor sie ihn sah. Jedes Mal war er erstaunt, dass sie an der Haltestelle auf ihn wartete. Ihre Haare flatterten im Wind, ihr weißes Lächeln strahlte.
    Wenn er aus dem Bus gestiegen war, küssten sie sich leicht auf die Wange, dann gingen sie zum Baden in eine ruhige Bucht.
    Der Strand hatte eine silbrige Farbe und lag etwas außerhalb von Roccelle. Sie waren ungestört, weil dorthin sonst nur Touristen kamen, und keiner kannte Caterina.
    Sie schwammen zu den Felsen, kletterten aus dem Wasser und stürzten sich in das klare Blau. Sie tauchten mit weit aufgerissenen Augen unter und schlugen Hand in Hand im Wasser Purzelbäume. Sie ließen
sich mit dem Bauch nach
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