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Das singende Kind

Das singende Kind

Titel: Das singende Kind
Autoren: Carmen Korn
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kleine Fest vor ihrem Kleiderschrank ließen Trudi leichter werden. Sie schloß die Haustür auf, nahm die Treppen zwei Stufen auf einmal und hielt das bis in den vierten Stock durch. Oben angekommen, fühlte sie ein feines Kribbeln im Kreuz, freute sich und klingelte Sturm.
    Doch. Sie hatte einen Schlüssel. Nein. Ihr war nicht im Sinn gewesen, daß Georg und Jos über Arbeit gebeugt saßen. Ja. Sie wußte, daß es Leute gab, die arbeiteten.
    »Gnade«, sagte Jos, »sei so gut, Georg, und sag uns den Grund deiner verdammten Grämlichkeit.«
    »Du stellst dich auf Trudis Seite«, sagte Georg, »ständig stellst du dich auf Trudis Seite.« Es klang eher müde als empört.
    »Ach was. Ich trag euch beide im Herzen. Ich bin euer Trauzeuge. Ich habe einen Anspruch darauf, euch glücklich zu sehen.«
    »Ich weiß nicht, warum alles, was du von dir gibst, sich so entsetzlich unernst anhört«, sagte Georg.
    »Dir ist einfach der Sinn für heitere Töne abhanden gekommen. Du schreibst zu traurige Texte. Das tut dir nicht gut.«
    Georg gab Jos einen Blick, der ihm Schweigen gebot. Sie sahen Trudi an, die noch im Mantel stand, die Tasche mit den Einkäufen in der Hand. »Zieh dich doch endlich aus«, sagte Georg und griff an den Kragen ihres Mantels, um ihr herauszuhelfen. Trudi ließ sich ausziehen, ohne die Tasche aus den Händen zu geben, tat sie nur von der einen in die andere.
    »Hast du da Nacktfotos von dir drin?« Jos verzog den Mund kurz zu einem kleinen Schnalzen. »Zeig sie her, und sollte es Georgs Gemüse sein, an das du dich da klammerst, gib es ihm um Gottes willen, daß wir was zu essen kriegen.«
    »Mir ist tatsächlich der Sinn für deinen Humor abhanden gekommen«, sagte Georg. Trudis Teilnahmslosigkeit ärgerte ihn.
    »Ich gebe zu, daß ich heute mein Niveau nicht halte«, sagte Jos. Er ging um den schwarzen Eichentisch herum, blieb bei Georgs Schreibmaschine stehen und guckte auf das leere Blatt, das da eingespannt war. Er hob den Deckel des Ordners, in dem die acht Seiten vom Singenden Kind abgeheftet lagen, schloß ihn gleich wieder und wandte sich dem Fenster zu. Drüben im Haus hängte eine Frau rosarote Vorhänge auf. Zyklam hieß der Farbton in Jos' Aquarellkasten. Jos drehte sich um und war überrascht, daß Trudi und Georg noch immer da standen. »Die Kastanien kriegen schon ihre Knospen«, sagte er, um etwas zu sagen, und fand auch den Satz ziemlich schwach. Doch Trudi sah ihn dankbar an und hatte auf einmal ein frohes Gesicht, und sie ging aus dem Zimmer, als seien die Kastanien ihr lang erwartetes Abgangswort gewesen.
    »Sing doch«, sagte Jos. Er spießte ein Stück Fenchel auf die Gabel und zielte damit auf Trudi. »Kannst du nicht tingeln gehen? Zu meiner Zeit haben die Leute noch getingelt.«
    Trudi zuckte zusammen. An ihrem Hals zeigten sich Flecken, die schnell zu den Ohren hochzogen.
    »Als deine Zeit anfing, konnte Trudi schon laufen«, sagte Georg.
    »Ich gehe nicht mehr zur Dux«, sagte Trudi.
    »Du sollst ja auch nicht länger zu der alten Krähe gehen. Gesangsstunden hast du wirklich genug gehabt.« Jos sprach mit vollem Mund. Er war der einzige, der noch aß. »Habt ihr Krach gehabt, du und die Dux?« fragte er.
    »Sie hat zugegeben, daß Trudi keinen Deut Talent hat«, sagte Georg.
    »Hast du das aus der Dux herausgeschüttelt?« Jos sah Georg an.
    Die Dame hat nur abkassiert. Die hat gleich gewußt, daß Trudi nicht singen kann.«
    »Vielleicht ist Trudi eine Diseuse«, sagte Jos.
    »Trudi hat null Erfahrung. Sie kann keiner Seele Schmerz verkaufen. Trudi kann Erfahrung nicht mal vortäuschen.«
    Trudi schob den Stuhl zurück und stand auf. Ihre Hand glitt dabei ganz zufällig über die grünliche Glasscheibe des Eßtisches und warf alle Weingläser um. Als Trudi schon im Flur stand, hörte sie noch eins der Gläser rollen, dann auf die Chromkante des Stuhles schlagen und daran zerbrechen.
    Georg liebte die Ordnung. Aus dem Grunde hatte er sich immer wieder mal in seinem Leben nach Besitzlosigkeit gesehnt. Nur das Nötige um sich zu haben und davon das Beste schien ihm Ordnung zu bedeuten. Es geschah, daß er einen Gegenstand, der ihm zuviel war oder gar häßlich, zerstörte und im Müll versenkte. Oft fühlte Georg sich dann gereinigt.
    Georg haßte Trudis Schrank. Er sah sie davorstehen und hätte ihm gern Gewalt angetan und vergaß beinah, daß er gekommen war, um Trudi zu trösten. Sie stand mit gestrecktem Rücken und langem Nacken, den Kopf leicht gesenkt. Trudi sah aus,
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