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Das singende Kind

Das singende Kind

Titel: Das singende Kind
Autoren: Carmen Korn
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dann Trudi an, die ganz still dastand.
    Trudi hatte einen Augenblick lang gehofft, das Kind schlüge ihm die Laterne ins Gesicht. Doch was sollte es glauben. Der schöne junge Mann, der im Hauseingang stand. Mit einer Frau. Läppisch für die Kleine, die noch nichts vom Wahnsinn wußte.
    Die Stahlklinge glitt wieder ins Dunkel, doch Trudi sah sie näher kommen und spürte schon das Loch in ihrem Körper.
    Antes setzte ihr die Spitze des Öffners auf die Brust, und Trudi erstarrte. Tat nichts, um ihn abzuwehren. Ließ die Hände hängen, statt nach der Klinge zu greifen.
    Doch er stieß nicht zu. Hielt nur den Brieföffner an ihr Herz. Als sei das hier ein Zitat. Eine Erinnerung an schon Geschehenes. Den Absatz. Den Schlüssel. Er wollte sie gar nicht töten.
    Trudi löste sich aus der Ecke, in die er sie gedrängt hatte. Trat einen Schritt zur Seite, und Antes ließ es zu. Folgte ihr nicht, als sie losging. Trudi drehte sich um, und er sah nicht einmal hin zu ihr. Steckte nur den Öffner ein.
    Sie fing an zu laufen. Lief zur Untergrundbahn. Sprang in den Zug und wollte nur noch nach Hause kommen. Alles gut sein lassen. Trudi glaubte jetzt, daß sich jeder Schmerz überleben ließ.
    Jos gab ihm die Zeichnung vom Auszug der Kinder, und sie warteten beide auf das Schlußwort, das keiner von ihnen sprach.
    Georg ging in die Küche. Stellte den Kessel auf den Herd. Hoffte auf Trudis Kommen. Daß es ihnen gelänge, die Mauer zu durchbrechen. Miteinander zu reden. In Gegenwart von Jos.
    Jos kam zu ihm. Sah zu, wie er den Tee aufgoß. Hörte zu, wie er vom Singenden Kind erzählte. Hausieren gehen mit dem Kind. Einen Käufer suchen. Georg hatte Jos noch nie so schweigsam erlebt.
    Vielleicht würden sie in dieser Nacht gemeinsam hier sitzen. Auf Trudi warten. Es war acht Uhr und sie seit zehn Stunden unterwegs.
    Trudi lief durch das Laub und ließ die Blätter fliegen. Schob die Schuhspitzen in sie hinein und hob Kastanien auf, die alle schon zertreten waren. Ging schneller, als es zu nieseln anfing.
    Eine letzte Kastanie fiel vom Baum und mußte sich für Trudi aufbewahrt haben. Sie hörte sie fallen. Sah sie. Glänzend braun.
    Trudi sprang ihr nach und sah das Auto nicht. Spürte auch nichts, als sie hochgewirbelt wurde. Wie die Blätter. Das warme tiefe Dunkel war zu schnell, um auch nur den Bruchteil einer Sekunde an Georg denken zu lassen und an die Lafleurs. An das Leben vielleicht.
    Der Tod kam so viel gewöhnlicher zu Trudi als durch eine glatte Klinge, die in ihr Herz stieß. Sie gehörte zu einer Familie, der Gewalt angetan wurde. Die ganz normale Gewalt.
    Jos und Georg hörten nicht. Sie waren nicht die Menschen, die auf Sirenen achteten. Sie wurden auch nicht informiert von dem Nachbarn, der Trudi erkannt hatte. Er ließ es lieber die anderen tun. Zu deren Geschäft es gehörte, den Tod zu verkünden.
    Georg öffnete die Tür, und Jos stand neben ihm. Sie nahmen die Nachricht auf und hielten einander fest. Gingen gemeinsam zu Trudi.
    Jos schlug sich in dieser Nacht ein Lager auf dem Sofa auf. Doch es war Georg, der schließlich erschöpft unter der Steppdecke einschlief, und Jos blieb neben ihm sitzen und ließ seine Hand nicht los.

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