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Das singende Kind

Das singende Kind

Titel: Das singende Kind
Autoren: Carmen Korn
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Hochzeitsgesellschaft ausgeraubt«, sagte Trudi, »mit meiner Freundin zusammen. Wir sind erwischt worden, und ich habe mich geweigert, meine Personalien anzugeben.«
    »Die Schönheit aus den fünfziger Jahren?« Georg lachte. Es sollte Hohngelächter sein. Doch es klang nur hysterisch.
    »Sie ist jetzt eine alte Frau«, sagte Trudi.
    »Ich glaube dir kein Wort«, sagte Georg, »du hast nichts als ein Foto von dieser Frau.«
    Trudi kam ins Zimmer und legte die Kette auf den Nachttisch. Hob den Hammer auf und schlug in die Tür des Schrankes. Ihre Schläge waren heftiger als die von Georg.
    »Hör auf«, sagte Georg.
    Trudi ließ den Hammer fallen und ging in das Badezimmer und schloß sich darin ein.
    Georg holte eine Tüte aus der Küche. Das Kehrblech. Den Besen. Sammelte die großen Holzstücke auf und kehrte die kleinen zusammen. Er würde auch noch auf seinem Totenbett die Laken glattziehen.

Der Deckel des Duschgels war ihr heruntergefallen. Er fiel jeden Morgen. Ihre Hände waren dann noch schlaff vom Valium der Nacht. Antes hörte den Deckel im Becken kreisen und wartete darauf, daß seine Mutter an den Hähnen drehte und das Wasser laufen ließ. Als der erste Strahl kam, löste er sich von der Tür.
    Felix Antes ging in das Arbeitszimmer und nahm den Brieföffner vom Schreibtisch. Öffnete die Vitrine und holte die Lederkassette hervor. Schob die Klinge unter den Deckel und versuchte ihn hochzustemmen. Er hoffte, daß der Stahl des Öffners stark genug war.
    Handschuhe. Er hätte Handschuhe anziehen müssen. Antes hatte Angst, abzurutschen. Das eigene Blut zu sehen. Er zog die Klinge zurück und suchte einen Halt für die Kassette. Fand ihn in der Ecke hinter der Tür und ging in die Knie.
    Er setzte gerade an, als er die Schritte hinter der Tür hörte. Sie hielt es nicht mal zehn Minuten unter der Dusche aus. Starb bei dem Gedanken, ihn nicht bewachen zu können. Felix Antes hatte gerade noch Zeit, den Öffner in der Tasche seines Jacketts zu versenken, als sie die Tür aufdrückte.
    Lydia Antes tropfte noch. Er haßte es, wenn sie so aufgelöst aussah. Ihr nacktes Gesicht war uralt. Er hätte gerne seinen Ekel ausgedrückt, als sie ihm die Kassette aus der Hand nahm.
    Antes blieb sanft, bis sie in ihrem Schlafzimmer verschwand. Ging dann zum Schreibtisch zurück und schlug ihren Terminkalender auf. Sah mit Freuden, daß sie am Nachmittag ausgebucht war.
    Georg hatte ihr nachschauen wollen. Wie sie durch das Laub lief. Die Straße entlang und dann zur Untergrundbahn. Vielleicht fuhr sie ja zu Jos. Er hatte sie nicht gefragt.
    Den ganzen Morgen waren sie sich aus dem Weg gegangen. Unfähig, ein Wort miteinander zu reden. Doch jetzt stand Trudi auf der anderen Straßenseite und schaute zu ihm hoch. Als hätte sie gewußt, daß er am Fenster stehen würde. Georg formte die Lippen. Gab ihr ein Zeichen. Warten. Trudi sollte warten auf ihn.
    Er zog den Mantel an und lief die Treppen hinunter. Brauchte höchstens fünf Minuten, um den Platz am Fenster zu verlassen und auf die Straße zu kommen. Doch als er aus der Tür kam, war Trudi nicht mehr da und auch nirgends zu sehen.
    Georg ging zum Bahnhof und verpaßte den Zug um die Stufen, die er schneller hätte hinauflaufen müssen. Die Türen schlossen sich, und er versuchte, Trudi in einem der Wagen zu sehen.
    Den nächsten Zug nehmen. Zu Jos fahren. Das Drama beenden. Es wäre beendet, wenn er Trudi dort sähe. Georg würde umkehren und aus beider Leben gehen.
    Doch er ging nach Hause. Die letzten Sätze vom Auszug der Kinder schreiben. Die Wörter aus sich pressen. Als müsse er sie aus seinem Kopf tilgen, um das Gute zu beschwören.
    Lydia Antes hatte das Auto genommen. Er würde zu Fuß zu seinem Marzipankind gehen müssen. Zu Fuß und ohne Geld. Wie der Bettler, der den halben Mantel vom heiligen Martin bekommen hatte. Felix Antes lachte. Das paßte doch wunderbar. Das Marzipankind wollte zum Laternenumzug gehen. Mit dem Brüderchen.
    Die Kassette war nicht mehr in der Vitrine. Wußte der Teufel, wo seine Mutter sie versteckt hatte. Es interessierte ihn heute nicht mehr. Er würde dafür den Mantel nehmen. Sich in den Kaschmir werfen, der weich war wie die Haut des Marzipankindes. Seine Mutter haßte es, wenn er ihren Mantel trug.
    Eine kleine Fuge spielen. Die Dämmerung ließ sich so viel Zeit, und ihn drängte die Vorfreude. Seine Freundin hatte lange nicht mehr weggedurft, um mit ihm zu spielen. Vierzehn Jahre alt und litt unter Beschränkungen, als sei
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